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«Was uns keiner nehmen kann …» – Besuch beim Jugendchor Sursee

Rebekka Dahinden 30.09.2025

Montagabend, Klosterkirche Sursee. Der Jugendchor probt wieder. Die Gruppe klingt, auch nach der Sommerpause, erstaunlich eingespielt.

Acht junge Erwachsene stehen im Halbkreis und gähnen herzhaft. Nicht, weil sie müde sind, im Gegenteil. Das Gähnen gehört hier zur Vorbereitung. Es lockert Stimmbänder wie Kiefer – und sorgt für die ersten Lacher des Abends.
Es ist ein warmer Augustabend in Sursee, die Sonne scheint tief durch die Fenster der Klosterkirche. Die Sängerinnen und Sänger des Jugendchors treffen sich zum ersten Mal seit Wochen wieder. Ein ganzer Sommer liegt zwischen dem Abschlusskonzert im Juni und der heutigen Probe.

Locker nach Stimmgruppen geordnet, versammeln sich die jungen Frauen und Männer um das Piano. Noch ist es still. Erst werden die Schultern gerollt, auf die Brust geklopft, tief durchgeatmet. Dann beginnt Andreas Wüest mit den ersten Übungen. Er spielt Tonfolgen vor, singt an, und der Chor steigt ein. Die Jugendlichen scheinen mit dem Ablauf vertraut zu sein; die Übungen greifen nahtlos ineinander, selbst die Kanons sitzen sicher. Ein Kommentar hier, ein Lachen dort – die Stimmung ist gelöst.

 

«Geniessen das gemeinsame Singen» 
Mit dem Start der neuen Chorsaison steht für den Jugendchor nicht nur ein Jahr voller gemeinsamer Erlebnisse bevor – Filmabende, Ausflüge, gemütliche Treffen inklusive. Es beginnen auch die Vorbereitungen auf verschiedene Auftritte: ein Ständli im Advent, das Singen in ausgewählten Gottesdiensten, das Abschlusskonzert im Sommer. Vor Publikum etwas darbieten zu können, sei zwar schön, sagt Andreas Wüest. Aber eigentlich gehe es um mehr als das: «Wir proben gerne und geniessen das gemeinsame Singen am Montagabend. Wir schauen, was uns passt und probieren dabei auch sehr viel aus.»

Was er damit meint, zeigt sich gleich beim ersten Stück: «Believer», ein bekanntes Lied der Pop-Rock-Band Imagine Dragons. Zuerst probt Wüest mit jeder Stimme – Alt, Sopran und Tenor – einzeln, bevor er sie alle wieder zusammen singen lässt. Sie üben einzelne Takte, wiederholen rhythmisch herausfordernde Stellen, schärfen ihre Artikulation. «Versucht, das ‹P› von Pain stärker zu betonen!» Es sind kleine Gesten – ein Stampfen, Klatschen, eine geballte Faust –, die helfen sollen, dem Gesang mehr Kraft und Ausdruck zu verleihen. «Pickt euch zwei Konsonanten heraus, die ihr betonen wollt – und dann schauen wir, wie es klingt.»

 

Den Sound hinbekommen 
Mit spielerischen Tipps hilft Andreas Wüest den Sängerinnen und Sängern, den gewünschten Sound hinzubekommen. Einige Mitglieder stellen Rückfragen und notieren sich Gedankenstützen in die Notenblätter. Andere scrollen, tuscheln, lachen – oder widmen sich ihrem Kaugummi. Jeder ist auf eigene Art bei der Sache. Aber mit dem Ergebnis, dass das Stück dann auch in A-cappella-Version, nur vom Schnippen des Chorleiters begleitet, gelingt.

Trotz der langen Sommerpause haben es Alt und Sopran erstaunlich gut im Griff. «Habt ihr geübt?» Die Gruppe lacht – und begrüsst eine Kollegin, die verspätet dazustösst.
Kurz vor der Pause zückt Wüest die Noten des nächsten Stücks: «Wir sind eins», die Melodie aus König der Löwen 2. «Ehrlich jetzt – nach diesem aggressiven Lied?», fragt eine Sängerin aus der Sopran-Ecke. Wieder lacht der Chor.

 

«Ich wähle Lieder so aus, dass sie auch in kleiner Besetzung funktionieren, selbst wenn mal eine Stimme fehlt.»



Anders unterwegs
Andreas Wüest leitet nicht nur den Jugendchor Sursee, sondern auch verschiedene Erwachsenenchöre. Ob es Unterschiede gibt? «Klar, organisatorisch liegt bei den Jugendlichen mehr an mir», sagt er. «Aber auch musikalisch ist es anders: Ihre Stimmen sind frischer, unverbrauchter – mit ihnen muss ich weniger feilen.» Bei Erwachsenen übe er oft länger an einzelnen Passagen. Bei Jugendlichen hingegen «ergibt sich vieles im Prozess. Da vertraue ich einfach, dass es gut kommt.»

Bei den Mitgliedern des Jugendchors ist vieles im Wandel – das weiss Andreas Wüest nur zu gut. Schule, Prüfungen, Auslandsaufenthalte, Lehre, Studium. Kaum eine Probe, bei der alle da sind. Darum müssen die Stücke flexibel interpretierbar sein. «Ich wähle Lieder so aus, dass sie auch in kleiner Besetzung funktionieren, selbst wenn mal eine Stimme fehlt.» Die Jugendlichen dürfen bei der Liedauswahl mitreden. «Wenn immer möglich, greife ich auf ihre Wunschlieder zurück», sagt Andreas Wüest.

In der viertelstündigen Pause bleiben fast alle sitzen. Zwei Frauen gehen an die frische Luft, der Rest redet, lacht, klärt das eine oder andere zum Probeplan. Ein Blick in die redselige Runde zeigt: Sie ist sehr divers zusammengesetzt. Wie kommt das an? «Wir sind zwischen 12 und 25 Jahre alt – also eine bunt gemischte Gruppe», sagt Alt-Sängerin Jana. «Der Altersunterschied ist zwar gross, aber wir ergänzen uns super. Es ist cool, mit unterschiedlichen Leuten zu arbeiten. Mit allen kann man offen reden.»
 

Veränderungen gehören dazu
Was die Gruppe zusammenführt, ist die Freude am Singen. Für Jana ist dies ein Ausgleich zum Alltag. Und auch für Sopranistin Angelina ist das Singen ganz klar der Grund, warum sie Woche für Woche zur Probe kommt: «Ich liebe es, laut und gemeinsam mit anderen vor Publikum zu singen. Im Chor hat die Stimme eine andere Kraft als allein.»

Im Chor ist Bewegung Programm: Mitglieder kommen und gehen, Stimmen verändern sich. Für Andreas Wüest bedeutet das, immer wieder neu zu beginnen – eine Aufgabe, die er als ebenso spannend wie anspruchsvoll erlebt. «In der Lebensphase der Jugendlichen passiert viel, jede und jeder entwickelt sich anders. Das muss ich als Chorleiter auffangen. Die Gruppe wandelt sich ständig, und jedes Jahr bringt neue Dynamik mit sich.»

Nach den letzten Minuten Pause, wenn die Trinkflasche verschlossen, das Wichtigste erzählt und das Handy verstaut ist, proben die jungen Sängerinnen und Sänger weiter. Und zwar so, wie es der Jugendchor im König der Löwen-Lied selbst singt: «Du erkennst irgendwann, was uns keiner nehmen kann. – Wir sind stark, wir sind stolz, wir sind eins.»

 

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