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In der Sprache liegt die Kraft

Mariann Bühler 04.08.2025

Ob geschrieben oder gesagt – Wörter haben eine immense Wirkung. Was wir durch Sprache entstehen lassen.

Vor kurzem habe ich eine Lesung mit der Autorin Lorena Simmel moderiert. Sie hat einen Roman über den Gemüseanbau im Berner Seeland und die dort arbeitenden Menschen aus Mittel- und Osteuropa geschrieben. Gerade diese Arbeit taucht selten auf in literarischen Texten. Zu wenig sexy, sagte die Autorin im Gespräch. 

Ich habe mit diesem Buch etwas über die Welt gelernt und darüber, unter welchen Bedingungen die Nahrungsmittel auf meinem Teller produziert werden. Und ich habe wieder einmal gestaunt darüber, was Sprache kann: Ich hatte den Eindruck, dass ich beim Lesen – an sich keine anstrengende Tätigkeit – ein Gefühl von Arbeit bekam. Dass mir die Sprache dieses Buches ein körperliches Gefühl vermittelte. Natürlich habe ich die Gelegenheit beim Schopf gepackt und Lorena Simmel gefragt: Wie hast du das nur gemacht? Ihre ausführliche Antwort hätte hier nicht Platz, aber ein Teil davon schon: Sie hat als Autorin die Voraussetzungen geschaffen, dass wir Lesenden zwischen den Zeilen lesen können. 

Blick ins Innere
Ich war selbst schon in der gleichen Situation und wurde gefragt, wie ich das gemacht habe mit der Sprache. Und ich war immer etwas ratlos. Natürlich tue ich mein Bestes beim Arbeiten mit Sprache, gestalte, bis ich das Gefühl habe, jetzt stimmt es. Aber wie genau ich das mache, weiss ich nicht. Der Klang spielt eine Rolle, aber auch der Rhythmus, selbstverständlich die Wortwahl, die Lücken, das was fehlt, was ich entscheide, wegzulassen. 

Gerade heute habe ich für einen Autor, den ich kaum kenne, einen kurzen Text gegengelesen. Mir war, als würde ich diese Person über die Worte, das Thema, das sie gewählt hat, kennenlernen. Als könnte ich mir ein Bild davon machen, wie es in ihm drin aussieht, obwohl er nicht über sich geschrieben hat.

Und Sprache wirkt längst nicht nur geschrieben. Wie gross die Erleichterung oder der Trost sein kann, wenn jemand genau die richtigen Worte findet. Und wie gross die Verletzung, wenn die Worte – vielleicht ohne Absicht – falsch gewählt sind. Oder statt Worten nur ein Schweigen herrscht. Oder ein Winken über eine Strasse hinweg, ein Blickkontakt, ein Lächeln – um diese Sprache zu verstehen, sind nicht einmal Worte nötig. 

Eine gemeinsame Sprache
Mir fällt es bisweilen schwer, beim Schreiben die richtigen Worte zu finden. Insbesondere Dialoge finde ich unglaublich schwierig zu schreiben, sie wirken rasch gekünstelt. Deshalb verlasse ich mich gerne auf die Sprache der Gesten. Damit lässt sich viel ausdrücken. Mit einer Hand auf einer Schulter, die sagt: «Du bist nicht allein.» Oder: «Ich glaube an dich.» Eine Tasse Tee, die, vor jemanden hingestellt, sagen kann: «Ich habe Zeit, erzähl, was dich bedrückt.» Oder: «Du bist mir wichtig, manchmal weiss ich nicht, wie sagen, aber um dich kümmern will ich mich.» 

Oder das, was wir als belanglosen Small Talk abtun, der aber in Sätzen über das Wetter und die Angebote im Supermarkt Nähe zwischen Menschen herstellen und eine Möglichkeit schaffen kann, sich besser kennen zu lernen. Die sagen: «Was für ein Glück, dass wir zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind und Sprache haben.»

 

Mariann Bühler ist Autorin und Literaturvermittlerin. Sie schreibt 2025 als Gastautorin für das Pfarreiblatt Sursee.

 

Foto: CC0 Nicolas Messifet/unsplash.com

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