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In der Mitte der Nacht liegt der Anfang eines neuen Tages

Tanja Metz 20.06.2024

Die Nacht wird als bedrohlich erlebt. Doch daneben bietet sie auch Raum für Begegnungen, die offen ist für Neues.

Vermutlich kennen auch Sie den alten Hymnus «In der Mitte der Nacht liegt der Anfang eines neuen Tages». Er begegnet einem immer mal wieder: als Lied, als Lebensweisheit, bei Traueranzeigen, …. Ein Hymnus, der die Erfahrung von Dunkelheit und Licht in einem Satz einfängt, der bei aller Verzweiflung den Blick auf die Hoffnung richtet. Da wir im Juni die «Mitte» zum Thema machen, soll auch dieser Osterhymnus seinen Platz erhalten. Doch das gestaltet sich weit schwieriger als gedacht. Was gibt es zu diesem Thema zu sagen? Wie kann diese Erfahrung in einem Artikel Platz finden? Die Suche im Internet, in Büchern und die Gespräche mit Arbeitskolleg*innen eröffnen ganz verschiedene Blickwinkel auf die Erfahrung des Hymnus.

So kam ich zu dem wunderbaren Bild der Künstlerin Magdalena Kunz das auf dieser Seite zu sehen ist. Ein Arbeitskollege erhielt dieses Bild als Teil einer Trauerkarte. Hinter dem absoluten Dunkel ist blau zu sehen und sogar einige Sprenkel eines Gelb-Brauntons sind auszumachen. Das Dunkel ist nicht absolut, auch wenn keine Helligkeit zu sehen ist. Die Mitte der Nacht eben. Und wie wir alle wissen, in der Mitte der Nacht gibt es kein Licht.

Mit der Nacht in Verbindung

In unseren Städten und häufig auch Dörfern ist es kaum mehr möglich, die Dunkelheit der Nacht zu erleben. Strassenlaternen, Leuchtreklame und Gebäudebeleuchtungen sorgen dafür, dass es kaum je wirklich dunkel wird. Heute weiss man, dass dies für Pflanzen, Tiere und auch uns Menschen schädlich ist. Dabei beschäftigen sich nicht nur Naturwissenschaftler mit den Auswirkungen der fehlenden Dunkelheit, auch Theologen fragen sich: Was verändert sich, wenn die Erfahrung der Nacht wegfällt? Denn in der Nacht werden Hör- Tast- und Geruchssinn geschärft und das Gefühl der Unsicherheit ist nicht weit. Die Grenzen des eigenen Handelns werden unmittelbar erlebt. «Wer in die Nacht hinausgeht, nähert sich dem Leben von einer sehr verborgenen, aber elementaren Seite her an», schreibt der Theologe Christian Kren. So taucht die Nacht auch an verschiedenen Stellen der Spiritualität und Liturgie auf. Elementare Erfahrungen des sozialen und individuellen Lebens werden häufig mit der Nacht in Verbindung gebracht: Liebe und Lust, Angst und Einsamkeit aber auch Kreativität, für die es am Tag keinen Platz gibt. Für ihn kann die Nacht ein Raum sein «…in den hinein man aufbricht, in einem Wagnis und mit einer Ahnung, dass dort eine Begegnung wartet, die Leben weckt.»

Offen für etwas Neues

Viele biblische Geschichten spielen bei Nacht. Sie nutzen genau den oben beschrieben Raum, für Begegnung. Besonders berührt haben mich die Überlegungen zur Geschichte Hiobs. Hiob verliert all seinen Besitz, seine Kinder, er wird krank und gedemütigt. In der biblischen Geschichte wird beschrieben, dass er stets nach dem Warum, der Ursache dessen fragt. Er gibt nicht auf, er will verstehen. Man könnte auch sagen, er will Licht in das von ihm erlebte Dunkel bringen. Und dann, so erzählt die Bibel, sagt er: «Ich gebe auf und tröste mich.» Die Theologin Marie-Claire Barth-Frommel erklärt: Er gibt auf, «… aber nicht im passiven Sinn von «es ist mir alles gleich», sondern im aktiven Sinn, indem er von einer früheren Vorstellung ablässt. Dadurch öffnet er sich für etwas Neues und findet darin Trost.» Er lässt sich ein auf die Nacht. «… in der Begegnung mit dem Unwissbaren wachsen wir weiter. Und letzteres kann eine göttliche Erfahrung sein», so Daniel Barth.

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