Die Welt lugt nicht so gut.
Mariann Bühler 13.11.2025
Hinschauen oder wegsehen – wie wir mit Situationen umgehen, in denen etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Morgen muss ich zum Zahnarzt. Es geht nicht mehr anders, hinten links tut es seit einer Woche weh, ich kann den Zahn nicht länger ignorieren. Wie viele andere auch fürchte ich mich vor dem Zahnarzt, habe die Besuche in den letzten Jahren immer wieder aufgeschoben. Es tut ja nichts weh, dachte ich, und bin dem prüfenden Blick in meinen Mund ausgewichen.
Ein bisschen ähnlich geht es mir gerade mit dem, was sich als «Weltlage» zusammenfassen lässt. Ich mache die Augen zu und die Zeitung nicht auf. Weil das, was ich da lesen würde, wahrscheinlich weh tun würde, mir Angst machen würde.
Gestern Abend habe ich mit meinem liebsten Menschen telefoniert. Wir sind einige Wochen weit weg voneinander und erzählen uns unsere Leben am Telefon statt am Küchentisch. Er erzählte, dass er einen Freund auf einen Kaffee getroffen habe. Sie seien beide nicht so optimistisch, wenn sie in die Welt hinausschauen, sagte er.
Ich musste an einen Satz denken, den ich diese Woche im Brief eines Schweizer Auswanderers gelesen habe: «Die Welt lugt nicht so gut.» Ich habe mir den kuriosen Satz notiert und darüber nachgedacht.
Um Nuancen verschoben
Um den Satz besser zu verstehen, muss man bedenken, dass der Mann, der ihn 1945 in seinen Brief schrieb, schon seit 20 Jahren in den USA lebte. Wahrscheinlich hat er in diesen zwei Jahrzehnten Englisch gelernt. Wahrscheinlich hat er fast nur noch Englisch gesprochen und sein Deutsch nur noch für Briefe an die Verwandten in der Schweiz gebraucht. An anderen Stellen im Brief sieht man das gut: Er schreibt von einem «Culrum», einem Kühlraum, auf Englisch «cool room».
«The world doesn’t look too good» – das könnte der Satz sein, den er im Kopf hatte und den er für seinen Brief übersetzt hat. Er hat das englische «look» mit dem schweizerdeutschen «luege» übersetzt. Kein Wunder: Das Wort klingt nicht nur ähnlich, die Bedeutung stimmt auch fast überein. Sie ist in den beiden Sprachen nur um Nuancen verschoben: das Schauen ist in diesem Wort drin, auf Englisch heisst «look» in diesem Zusammenhang eher «aussehen», auf Deutsch würde man es mit «anschauen» übersetzen. Aber auch die Bedeutung «zu öppisem luege», sich um etwas kümmern, schwingt mit.
Besorgnis in drei Varianten
Ich lese den Satz darum gleich in drei Varianten und gleich dreifach ist in diesem Satz etwas im Argen:
«Es sieht nicht gut aus mit der Welt.» oder: Wo soll das nur hingehen mit der Welt?
«Die Welt schaut nicht gut aus der Wäsche.» – auf Schweizerdeutsch funktioniert das besser: «D’Wäut luegt ned guet us de Wösch.»
«Die Welt kümmert sich nicht gut genug.» Die Welt – wir – sollten uns kümmern. Oder: Wir sollten genau hinschauen und uns der Welt annehmen. Ihr Sorte tragen.
Morgen gehe ich zum Zahnarzt, stelle mich der Angst vor Bohrern und gezogenen Zähnen, morgen schaue ich zu meinen Zähnen – in kleinen Schritten, nicht gerade optimistisch, aber mit offenen Augen. Und übermorgen wieder in die Zeitung.
Mou luege, wie das chond. Oder wie der Auswanderer in seinem Brief schreibt: «Was später kommt, wissen wir nicht.»
Mariann Bühler ist Autorin und Literaturvermittlerin. Sie schreibt 2025 als Gastautorin für das Pfarreiblatt Sursee.
Foto: CC0 Diana Davolyte/pexels.com
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