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Leihen statt kaufen?

rf 04.03.2024

Viele Menschen kaufen lieber, statt Dinge zu leihen. Dabei öffnen sich so manche Türen, wenn wir mehr teilen.

Wie viele Gegenstände haben Sie zu Hause? Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage, die Sie vielleicht überfordert, gibt eine Untersuchung Anhalt: Schätzungen zufolge besitzt eine einzelne Person in Westeuropa rund 10‘000 Gegenstände. Eine Zahl, die überrascht und zu denken gibt. Besonders wenn man überlegt, wie viele dieser Gegenstände tatsächlich regelmässig gebraucht werden – und welche selten bis nie im Einsatz sind. Die Versuchung, Dinge lieber anzuschaffen, statt sie bei Bedarf zu leihen – was bei vielen Alltagsgegenständen gut machbar wäre – ist offensichtlich gross.

Teilen zahlt sich aus

Dass wir Gegenstände gerne besitzen und uns aber mit dem Teilen schwertun, besagt auch der Sharing Monitor Schweiz. Eine Studie, die 2021 von der Hochschule Luzern durchgeführt wurde und einen Überblick über das Sharing-Verhalten (engl. to share, dt. teilen) der Schweizer Bevölkerung gibt. Sie zeigt unter anderem auf, welch viele Vorteile sich ergeben, wenn Herr und Frau Schweizer zu teilen bereit sind: Ökologische Vorzüge, die sich durch Mehrfachnutzung ergeben – etwa, wenn sich mehrere Personen ein Fahrzeug teilen und sich dadurch der Energieverbrauch reduziert. Finanzielle Vorteile, wenn man Gegenstände durch Leihe statt Kauf günstig oder kostenfrei in Anspruch nehmen kann. Oder auch soziale Effekte, zumal das Sharing-Prinzip die Integration in die Gesellschaft in vielfältiger und positiver Weise beeinflusst. Beliebtes Beispiel dafür sind Formen des Mehrgenerationenwohnens, die den Bewohnern verschiedenste Vorteile bieten: Senior*innen helfen Familien bei der Kinderbetreuung, Jüngere unterstützen Betagte bei Alltagsgeschäften. Was letztlich all diese Beispiele vereint: Man teilt vorhandene Ressourcen, hilft und unterstützt sich gegenseitig.

Alles ist teilbar

Geteilt werden kann vieles – das zeigt auch die Vielfalt an Sharing-Gemeinschaften, also Plattformen, die zum Teilen und Verleihen animieren und dabei den Umweltschutz und das Gemeinwohl ins Zentrum stellen. Konventionelle Anbieter wie Bibliotheken gehören da genauso dazu wie neuartige, die zum Beispiel Car- oder Foodsharing ermöglichen. Bereit zu teilen ist die Schweizer Bevölkerung aber dennoch nur bedingt. Das belegt die Studie mit eindrücklichen Zahlen, welche die Nutzung digitaler Verleihplattformen für Alltagsgegenstände abbilden: Obwohl jede dritte Person solche Online-Portale kennt, werden sie von nicht einmal 1 % der Bevölkerung regelmässig genutzt. Und dies, obwohl die Angebote grundsätzlich gut ankommen.

Mehrwert für Umwelt und Gesellschaft

Was ist der Grund für diese Diskrepanz zwischen der positiven Einstellung gegenüber dem Teilen und der geringen Bereitschaft, es auch tatsächlich zu tun? Was die Nutzung von Portalen betrifft, ist einer sicherlich die Bequemlichkeit: sich registrieren, das Objekt suchen und Besitzer kontaktieren braucht Zeit.

Von diesen Plattformen einmal abgesehen, machen die Forschenden vor allem auch finanzielle, psychologische und kulturelle Faktoren aus, welche die Bereitschaft zu teilen beeinflussen: Zum einen besteht für viele Schweizer*innen, zumindest in finanzieller Hinsicht, keine Notwendigkeit, Dinge auszuleihen statt zu kaufen. Zum anderen spielt auch die die Frage, wie privat der Gegenstand wahrgenommen wird, eine Rolle. So teilen gewisse ihre Bücher und Küchengeräte gerne, andere weniger. Ein wichtiger Punkt ist gemäss Studie ausserdem die Tatsache, dass der Besitz eines Gegenstandes vielen Menschen das Gefühl der Unabhängigkeit vermittelt – selbst dann, wenn sie die Häckselmaschine oder den Dörrtrockner nur einmal im Jahr brauchen. Bei all den Faktoren ist allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Idee des Teilens hierzulande gesellschaftlich wenig etabliert ist. In Ländern und Kulturkreisen, in denen Menschen mehr auf ein Miteinander angewiesen sind, ist der Gedanke des Teilens viel stärker verankert.

Türöffner für Vieles

Was beweget Menschen dennoch dazu, andern auszuhelfen? Neben dem Nachhaltigkeitsfaktor, der für einige ein Grund zum Teilen ist, sehen viele das Teilen auch als Türöffner: Zu Neuem, das ausprobiert werden will – Langlaufski zum Beispiel, die man vorsichtshalber erst borgt, bevor man sie anschafft. Oder zu persönlichen Begegnungen mit Nachbarn und Fremden, die erst durch die Ausleihe entstehen. Und nicht zuletzt zu einer neuen Haltung: Wer mehr Wert auf teilen als besitzen legt, schenkt dem Vorhandenen mehr Bedeutung – und richtet seine Aufmerksamkeit damit auf das, was ihm wirklich wichtig erscheint.

Vielleicht mögen Sie nicht alle Ihre 10‘000 Gegenstände jemandem leihen. Aber vielleicht hat Sie der eine oder andere positive Nebeneffekte überzeugt, gegenüber dem Gedanken des Teilens künftig etwas offener zu sein: Für unsere Umwelt, mehr Begegnungen, für neue Erfahrung, – oder einfach, um schrittweise von Überflüssigem loszulassen.

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