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Führe uns in Versuchung

Niklaus Kuster 12.03.2024

In dem Film «Vaya con Dios» wird manches über die Versuchung und vieles über die Herausforderungen und den Mut für ein Leben jenseits des Stand-by-Modus erzählt.

So lautet der Untertitel des deutschen Films «Vaya con Dios», der vor zwanzig Jahren mehrfach ausgezeichnet wurde. Daniel Brühl spielt darin einen Mönch, der als Baby in ein Kloster östlich von Berlin gebracht worden ist. Die Gemeinschaft schrumpft in der späten DDR-Zeit auf vier Mitglieder und erlebt in den 1990er-Jahren seine eigene Wende. Der Abt ist alt und seine drei Mitbrüder könnten unterschiedlicher nicht sein: Benno war Jesuit und verbringt viele Stunden in der Bibliothek, Tassilo ist ein zupackender Bauer und ernährt die Gemeinschaft. Für den jüngsten, den 20-jährigen Arbo, ist das Kloster die ganze Welt. Doch dieses ist wirtschaftlich am Ende. Eine Westdeutsche hat es aufgekauft, und als sie in finanzielle Schwierigkeiten gerät, müssen die Mönche ausziehen. Sie beschliessen nach Italien zu reisen, wo es noch ein Kloster ihres Ordens gibt. Der Abt überlebt den Schock nicht. Die drei Mönche brechen mit dem Nötigsten auf und wandern in ihren langen Kutten durch die Wälder Brandenburgs. Als sie auf eine Bahnlinie stossen und auf den Schienen einen Zug stoppen wollen, kostet es ihnen beinahe das Leben. Eine Journalistin aus Stuttgart kreuzt ihren Weg und nimmt die Weltfremden im Auto mit nach Süden. Sie ist eine moderne Frau, charmant, attraktiv, weltgewandt und erfolgreich – und Atheistin. So unterhaltsam ihre Weggeschichte mit den drei Mönchen wird, das Roadmovie wird seinem Untertitel tiefsinnig gerecht. Es verdeutlicht, dass Menschen ihren Weg oft nur über Umwege finden.


Sich selbst riskieren

Die drei Mönche finden je persönlich in eine gute Zukunft, weil jeder einer heilsamen Versuchung erliegt. Chiara, die Journalistin, tut es, indem sie gleich drei Versuchungen erkennt, die ihr Leben bisher ungut geprägt haben. Der überall zupackende Tassilo tut sich schwer mit Loslassen. Er bleibt auf dem Bauernhof seiner Mutter hängen, verliert dadurch die Gefährten und lernt, sich mit seiner Vergangenheit auszusöhnen und Altlasten loszulassen. Benno ist ein Kopfmensch, dominiert die anderen und stellt seine Prinzipien über die Bedürfnisse. Er bleibt in einer Jesuitenbibliothek hängen, versteinert und lernt durch Konflikte, auch Gefühle und die Sichtweisen anderer ernst zu nehmen. Arbo lässt sich treuherzig auf die moderne Welt ein, verliebt sich in Chiara, stürzt in einer Diskothek ab und lernt, erwachsen zu werden. Die Atheistin Chiara wiederum gewinnt durch die Mönche Tiefe in ihr Leben und lernt durch den jungen Arbo, Liebe von beruflich nützlichen Affären zu unterscheiden.

Der Film über wertvolle Versuchungen handelt von einer dreifachen Kunst: Wer nicht festhält und loslassen kann – Dinge, Orte, Gefühle, fixe Ideen, Vergangenes und Menschen –, gewinnt freie Hände für neue Wegabschnitte. Wer die Realität annimmt und zulassen kann – eigene Stärken und Schwächen, Bedürfnisse und Gefühle –, findet Kraft und die Chance, die Wirklichkeit zu gestalten. Wer sich riskiert und einlassen kann – auf Wege, Menschen und Herausforderungen –, lebt sein Leben nicht im Stand-by.


Niklaus Kuster

Der Kapuziner Niklaus Kuster ist 2024 Gastautor. Er schreibt aus der Sicht eines Ordensmannes und Theologen für das Surseer Pfarreiblatt.

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