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Zelebriere, was im Garten wächst

Rebekka Felder 30.09.2024

Gemüse kann inspirieren, zum Nachdenken und Diskutieren anregen und sogar Leidenschaft entfachen. Das zeigt ein Kochabend mit Gemüsekennerin Pascale Amez.

Zeit, Ausdauer, Begeisterung müssten als Zutaten in jedem Rezept dieses Buches stehen, denke ich mir auf dem Nachhauseweg. Gekocht haben wir im Pfarrhaus, und gegessen in dessen Garten – an einem Spätsommerabend, inmitten von Apfel- und Birnbäumen, Weinreben und Rosensträuchern.

Begonnen hatte der Abend in der Pfarrhausküche: Spitzkohl, rote Zwiebeln, Datteltomaten, Spinat, Walnüsse und frische Kräuter liegen ausgebreitet auf der Theke. Gemüseexpertin Pascale Amez verschafft sich einen Überblick, legt Messer und Schneidebretter bereit und stellt das Menü vor, das wir – zwei Pfarreimitarbeitende sowie eine Freundin von Pascale – an diesem Abend gemeinsam kochen werden: Zur Vorspeise Erbsengazpacho mit Minze sowie Kohlsalat mit Walnüssen, eine rauchige Tomatentarte als Hauptspeise sowie Schokoladentorte zum Dessert.


«Wenn ich weiss, wie oft ich Tomaten wässern muss, verändert das meine Einstellung.»


Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Gemüse, das wir für die einzelnen Gänge verarbeiten. Pascale geht auf die einzelnen, mehrheitlich regionalen und saisonalen Zutaten ein; erklärt deren Besonderheiten und was bei ihrer Verarbeitung zu beachten ist. So erfahren wir, dass es für ein gutes Geschmackserlebnis nicht nur bedeutend ist, ob die Zutaten frisch sind. Auch, wie sie haltbar gemacht werden, spielt eine Rolle. Frische Erbsen zum Beispiel bauen innerhalb wenigen Stunden viel Zucker ab, weshalb sie schnell verarbeitet werden müssen. Ist dies nicht möglich, bilden unmittelbar nach der Ernte tiefgekühlte Erbsen die geschmackvollere Wahl. Wir hören zu, sind erstaunt, wie viel es über das vermeintlich banale Gemüse zu erfahren gibt.


Der Leidenschaft gefolgt

Pascale weiss, wovon sie spricht. In ihrer Freizeit, aber auch beruflich befasst sie sich intensiv mit allem, was die Natur hervorbringt. Die ursprünglich gelernte Interactive Media Designerin hat schon immer gern gegärtnert; zu Beginn mit kleinen Töpfen und Kistchen auf dem Balkon, heute auch im grossen Garten. Motiviert, mehr über essbare Pflanzen – Gemüse, Wildkräuter, Obst, Getreide – und deren Verarbeitung zu erfahren, hat sie sich für die Bäuerinnenschule eingeschrieben. Heute betreibt sie gemeinsam mit ihrer Freundin Melissa den Blog Urkraut. Mit ansprechenden Bildern, Tipps und Rezepten geben sie dort ihr Wissen über nachhaltige Ernährung weiter. Daneben arbeitet Pascale auf einem Gemüseanbaubetrieb sowie bei einem Unternehmen, das Bio-Produkte herstellt.


Mit der Pflanze wächst die Wertschätzung

«Ich finde die Vielfalt das Spannende, da möchte ich mich nicht auf ein Gemüse festlegen», antwortet die passionierte Gärtnerin auf die Frage nach ihrem Lieblingsgemüse. Das ist auch der Grund, weshalb sie im vergangenen Jahr gemeinsam mit Melissa das Kochbuch «Liebes Gemüse» geschrieben hat. Wer es liest, lernt kreativ zu nutzen, was die Natur uns schenkt. Von ihrer Arbeit auf dem Gemüsehof weiss sie, welche Produkte die meisten Leute am liebsten kaufen. Gerade deswegen findet nicht nur herkömmliches Gemüse wie Karotten, Zwiebeln oder Kartoffeln Eingang in die Küche, sondern auch unbekannte Sorten. Das ist ihr wichtig.


«Selbst etwas zu pflanzen und dabei neue Sorten zu entdecken ist etwas Wunderbares.»

So regt sie zum Entdecken saisonaler und regionaler Lebensmittel und dadurch zu einer naturverbundenen Ernährung an, «damit man wieder einen Bezug hat zu den Pflanzen, die hier bei uns wachsen.» Was bedeutet, nach Möglichkeit auch selbst etwas anzupflanzen. «Selbst etwas zu pflanzen und dabei neue Sorten zu entdecken – auch wenn es nur beim Versuch bleibt – ist etwas Wunderbares, dazu möchte ich ermutigen», sagt Pascale. Das sorge nicht nur für eine abwechslungsreiche Küche, sondern mache einem auch bewusst, wie wertvoll diese Naturprodukte sind. «Wenn ich weiss, wie oft ich die Tomaten wässern muss, damit ich welche ernten kann, verändert das meine Einstellung zu den Zutaten, die ich verarbeite, grundlegend.»


«Gemüse kann mehr, wie wir meinen»
Beim Waschen der Zutaten erzählt die 29-Jährige, wie sie zu ihrer Leidenschaft – dem Anbauen, Pflegen und kreativen Verarbeiten von Gemüse, Obst und Kräutern – gefunden hat. Als Teenager habe sie sich für vegane Ernährung interessiert. «Die Vorstellung, sich pflanzlich zu ernähren, fand ich sehr spannend. Sich bewusst und vorwiegend pflanzlich zu ernähren ist gesund und hat einen besseren Fussabdruck. Wir fragten uns, wie das mit regionalen statt importierten Zutaten möglich sein kann und begannen uns deshalb mit heimischen Zutaten zu befassen.»

Damit einher gingen auch Versuche in der Küche, Gemüse auf neue, unkonventionelle Arten zuzubereiten – «weil das Gemüse viel mehr kann wie wir meinen», wie Pascale erklärt. Gemeinsam mit ihrer Freundin tüftelte sie an Rezepten, bereitete verschiedenes Gemüse auf unterschiedliche Weise zu. «Bis wir für einzelnen Rezepte jeweils die richtige Gemüsesorte, fanden, brauchte es mehrere Versuche», erzählt sie und zeigt auf die Datteltomaten. «Bei der Tomatentarte zum Beispiel haben wir uns für diese entschieden; andere Tomatensorten hätten zu viel Wasser abgegeben.» Zeit, Geduld und viel Kreativität hätten ihre Kochexperimenten gefordert.


Vergessene Sorten erhalten

Pascales Begeisterung für das Gemüse, aber auch die vielen Stunden Erfahrung in der Küche ist zu spüren. Sie denkt und spricht schnell, ihre Handgriffe sitzen. Und während sie uns immer wieder kurz Anweisungen gibt, kommt sie auf die Sortenvielfalt zu sprechen. Besonderen Gefallen findet die Gemüseexpertin nämlich an alten und vergessenen Sorten. Diese wurden, so erzählt sie, vor allem seit dem letzten Jahrhundert nicht mehr angebaut, da sie gewissen Standards wie Ertrag oder Haltbarkeit nicht genügen. Die Fokussierung der Samenguthersteller auf sogenannte Hybridsorten und deren Folgen für die Landwirtschaft beurteilt sie kritisch. «Wir brauchen Sortenvielfalt, um schnell auf Veränderungen im Klima oder Wetterextreme reagieren zu können. So kann eine andere Sorte zum Einsatz kommen oder eine Sorte gezüchtet werden, die besser zu den veränderten Bedingungen passt. Damit hat das Bewusstsein für Sortenvielfalt auch viel mit Ernährungssicherheit zu tun.» Hört man Pascales Ausführungen zu, wird klar: Die Frage nach dem Gemüse hat längst nicht nur kulinarische oder gesundheitliche, sondern auch eine ökologische, wirtschaftliche und politische Komponente. Zusammenhänge, über die sie sich – auch das wird deutlich – ausgiebig Gedanken gemacht hat.
Beim Essen im Garten erzählt Pascale, wie sie sich mit anderen Gemüseliebhaberinnen im Hofladen über Gemüse unterhält, Tipps und Rezepte austauscht. Auch wir reden noch lange über Gemüse. Verraten unsere geliebten und verschmähten Sorten, diskutieren über die Preise von in- und ausländischem Gemüse beim Grosshändler sowie die Herausforderungen, wenn man im Rhythmus der Jahreszeiten einkaufen möchte. Gemüse wird zum abendfüllenden Thema. Wie es bei allem ist, wo Leidenschaft und Zeit drinstecken.

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