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Wie wir Gott nennen dürfen

Niklaus Kuster 20.09.2024

In den abrahamitischen Religionen trägt Gott viele Namen. Männliche, weibliche, solche, die den Kopf, aber auch einige, die das Herz ansprechen.

Da steht sie vor mir, eine junge Lehrerin mit schwarzem Haar und orientalischen Gesichtszügen, die zuvor in der zweiten Reihe sass, und möchte sich Bücher signieren lassen. Dazu nennt sie ihren Namen: Nora, arabisch für Licht! Während ich Widmungen schreibe, kommt sie auf den Vortrag zurück, der dem Dialog zwischen christlicher und islamischer Religion galt. Nora Youssef unterrichtet Geschichte an einem Nürnberger Gymnasium. Der Abend knüpfte an der Begegnung zwischen Franz von Assisi und Sultan Muhammad al-Kāmil an. Ich zeigte auf, wie inspirierend die islamische Welt auf den christlichen Mystiker wirkte: ihr fünfmaliges Beten am Tag, ihr liebevoller Umgang mit heiligen Texten, ihr Gottvertrauen im Wunsch «inshallah» und die Weisheit in den 99 schönsten Namen Allahs. Dass alle diese Gottesnamen männlich sind, liess Franz jedoch keine Ruhe. Er wird später seine eigenen «schönsten Gottesnamen» in ein Lied fassen, das einen Drittel weiblicher Gottesnamen enthält!


Namen, die das Herz berühren

Es stimme, sagte mir Nora an jenem Abend, dass die 99 schönsten Gottesnamen der islamischen Tradition alle männlich sind. Der häufigste Name im Koran, häufiger noch als Allah, ist ar-Rahmān, der «Barmherzige». Das arabische Wort bedeutet – obwohl männlich – unter anderem «Mutterschoss». Nora sagte mir mit leuchtenden Augen, für sie als Muslima sei es wunderbar zu hören, dass Gottes Gefühle für uns Menschen aus seinem Mutterschoss kommen. «Bauchgefühl», wie wir in der abendländischen Kultur sagen, wäre zu oberflächlich: Mutterherz dagegen trifft es besser. Unter Allahs schönsten Namen, die der Muezzin zu einer Gebetszeit singt, sprechen die meisten primär den Kopf an: der König, der Erhabene, Starke, Formende, Allwissende, Richter, Grossartige, Höchste, Ruhmvolle, Demütigende, Mächtige ...

Viele dieser Namen teilen Muslime mit der jüdischen und christlichen Religion. Einige Namen berühren jedoch das Herz: Gott ist as-Salaām (der Friede), al-Muhaymim (der Bergende), al-Fattāḥ (der Öffnende), al-Laṭīf (der Feinfühlige), al-Ḥalīm (der Mitfühlende), al-Gafūr (der immer wieder Verzeihende), aš-Šakūr (der Dankbare), al-Wadūd (der alles liebevoll Umfassende). Und auch Noras Name ist ein Gottesname: an-Nūr (das Licht)!


Die schönsten Namen für Gott

Welches sind Ihre schönsten Gottesnamen? – Franz von Assisi findet für das DU, das er in der geschaffenen Welt und in seinem Innersten auch weiblich erfährt, eine Reihe weiblicher Namen: Du bist die Liebe, die Schönheit, die Freude, die Ruhe, die Kraft, die Hoffnung, die Weisheit, die Wonne, die Sanftheit, die Zärtlichkeit. Sein Lied von La Verna, im September 1224 vor genau 800 Jahren entstanden, ist Frucht einer innigen Gotteserfahrung. Glaube ist weit mehr als Theologie, als eine Weltanschauung, ein Lehrgebäude und eine überzeugende Praxis. Glaube – in allen lateinischen Sprachen weiblich! – ist eine Herzensbeziehung, Freundschaft, die tiefste Form von Liebe und Leidenschaft, Lebensquelle. Und all dies verdankt sich Gottes «Mutterschoss» und seiner beherzten Menschenliebe.

Niklaus Kuster

Der Kapuziner Niklaus Kuster ist 2024 Gastautor. Er schreibt aus der Sicht eines Ordensmannes und Theologen für das Pfarreiblatt Sursee.


Bild: pixabay.com.

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