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Wenn der Boden unter den Füssen fehlt

Tanja Metz 22.11.2025

Krisen sind auf den verschiedensten Ebenen schwierig. Wenn dann auch noch Entscheidungen verlangt werden, was dann? Für diese Frage treffe ich vom Pfarreiblatt den Coach Andreas Wanner.

Manchmal reicht ein einziger Moment, und nichts ist mehr, wie es war: Ein unerwarteter Verlust, eine Trennung, ein Streit, der alles verändert. Plötzlich scheint der Boden unter den Füssen zu fehlen, und man weiss nicht mehr weiter. Doch was genau ist eigentlich eine Krise – und wie lässt sie sich begreifen? Andreas erklärt: «Eine Krise, bei der es um den Menschen geht, bezeichnet eine Zeit, in der jemand den Boden unter den Füssen verliert und orientierungslos ist. Das kann zum Beispiel der erste Liebeskummer sein: Man ist zum ersten Mal verliebt, und dann geht die Beziehung auseinander. Die Situation liegt ausserhalb der eigenen Erfahrung – und es fehlt schlicht ein Plan, wie man damit umgehen soll. Das sind Krisensituationen, und sie bedeuten immer Stress.»

 

Strategien im Ausnahmezustand
Wie geht man nun mit einer solchen Krise um? Zum Glück haben sich mit dieser Frage schon viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befasst. Sie haben geforscht und vor allem genau beobachtet, erklärt Andreas Wanner: «Dabei kam heraus, dass die Krise einen Moment, einen kurzen Zeitraum von etwa acht bis zwölf Wochen betrifft. In dieser Zeit ist daran auch nichts zu rütteln – diese Krise kann nur ausgehalten werden. Innerhalb dieser Zeit sollten Strategien entstehen, um den Lebensalltag wieder zu bewältigen. Das bedeutet nicht, dass die Trauer um einen geliebten Menschen verschwindet, doch der Moment der Krise ist überwunden.» Im akuten Stadium braucht man als betroffene Person gegebenenfalls Unterstützung von aussen. Je nach Situation kann diese Hilfe aus dem eigenen Umfeld kommen oder durch eine professionelle Krisenintervention erfolgen. In beiden Fällen geht es darum, nach und nach wieder in die Selbständigkeit zu finden. Dabei können Bewältigungsstrategien und Ressourcen gestärkt sowie neue Wege und Lösungen gesucht werden. «Das passiert nach einer gewissen Zeit ganz von selbst, ohne grosses Zutun. Die Person in der Krise beginnt wieder, eigene Bedürfnisse zu entwickeln – zum Beispiel den Wunsch, allein zu sein oder Entscheidungen wieder selbst zu treffen. Solche gesunden Reaktionen führen Schritt für Schritt aus der Krise», erklärt Andreas Wanner.

 

Entscheidungen unter Druck
In der akuten Krisensituation sind Menschen dagegen schwer in der Lage, selbst eine Entscheidung zu treffen. Und doch gibt es Situationen, in denen es nicht anders geht. Andreas Wanner macht ein Beispiel aus der Praxis: «Ihr gerade verstorbener Vater wollte eine Erdbestattung, doch Ihr Bruder ist in den Ferien und kann nur dann bei der Beisetzung dabei sein, wenn eine Kremierung stattfindet. Sie möchten, dass Ihr Bruder dabei ist, können ihn aber nicht erreichen. Wie entscheiden Sie? Jede Entscheidung bringt Konsequenzen mit sich, die abgewogen werden müssen. In aller Regel gibt es nicht die richtige Entscheidung – es ist immer eine Entscheidung aus der Situation heraus. Aus der Erfahrung kann man sagen: Wenn Kopf und Herz bei einer Entscheidung nicht im Einklang sind, dann hadern Menschen oft damit. Und wenn eine Entscheidung, bei der Herz und Kopf übereinstimmen, nicht möglich ist, bleibt nur, etwas Tragfähiges für sich selbst zu finden.»

 

Vorsorge und Netzwerke
Grundsätzlich empfiehlt Andreas Wanner, bereits im Vorfeld manches zu regeln – so wie es etwa eine Patientenverfügung tut. Ebenso wichtig sei es, sich ein stabiles soziales Netz aufzubauen, das in Krisenzeiten trägt und unterstützt. Denn auch wenn Krisen zum Leben gehören, können Vertrauen, Beziehungen und Voraussicht helfen, den Boden unter den Füssen schneller wiederzufinden.

 

Zur Person: Andreas Wanner hat langjährige Erfahrung in der Notfall‑, Rettungs- und Intensivmedizin. Als ausgebildeter Coach mit Praxis in Sursee begleitet er Menschen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen. 

 

(Foto: Jametlene Reskp/unsplash.com)
 

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