Mehr als Broterwerb: Die Bedeutung von Arbeit in unserer Gesellschaft
Interview tm 14.05.2025

Seit seiner Gründung setzt sich das Kolpingwerk dafür ein, dass Arbeit unter fairen und menschenwürdigen Bedingungen stattfindet. Alexander Suchomsky vom Kolpingwerk erläutert, was das heute bedeutet.
Arbeit ist heute sehr wichtig und ein identitätsstiftender Faktor. Wie kam es dazu?
Die klassische Erwerbsarbeit diente über viele Jahrhunderte in erster Linie der Sicherung des Lebensunterhalts – und das tut sie auch heute noch. Doch im Laufe der Zeit kam eine neue Dimension hinzu: die Möglichkeit, sich über die Arbeit selbst zu verwirklichen. Arbeit ist für viele Menschen mittlerweile mehr als nur Broterwerb – sie soll auch als sinnstiftend wahrgenommen werden. Das gilt für einen wachsenden Teil der Gesellschaft. Diese Entwicklung wurde den Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft begünstigt. Einfach weil damit auch die Auswahlmöglichkeiten vielfältiger wurden.
Was macht Arbeit wertvoll?
Das lässt sich aus zwei Perspektiven betrachten: der subjektiven und der objektiven. Aus individueller Sicht stellt sich die Frage: Was gibt mir meine Arbeit persönlich? Für manche ist ein gutes Einkommen entscheidend, das nicht nur den Lebensunterhalt sichert, sondern auch gewisse Annehmlichkeiten ermöglicht. Andere wiederum empfinden ihre Arbeit als wertvoll, wenn sie einen gesellschaftlichen Beitrag leisten – etwa im Gesundheitswesen oder in der Erziehung.
Dann gibt es die gesellschaftliche Perspektive: Welche Tätigkeiten werden allgemein als wertvoll angesehen? Interessanterweise decken sich diese oft mit den zuvor genannten Bereichen, wie der Pflege oder Erziehung. Allerdings besteht hier häufig eine Diskrepanz – Berufe mit hoher gesellschaftlicher Relevanz erfahren nicht immer die entsprechende finanzielle Anerkennung.
Die Wahrnehmung, was «gute Arbeit» ist, unterscheidet sich oft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Warum?
Das liegt am grundlegenden Spannungsfeld zwischen Arbeit und Kapital – also zwischen Arbeitnehmern, die ihre Arbeitskraft anbieten, und Arbeitgebern, die diese für den Aufbau und Betrieb eines Unternehmens einsetzen.
Eine zentrale Frage ist: Fühlen sich Arbeitgeber auch für die Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeitenden verantwortlich? Aus unternehmerischer Perspektive sollte dies unerlässlich sein, denn nur zufriedene und gesunde Mitarbeitende leisten langfristig gute Arbeit. Hier unterscheiden sich die Haltungen stark – je nachdem, ob sich eine Unternehmensführung primär den Aktionären/Besitzern oder genauso der Belegschaft verpflichtet fühlt. Diese Ausrichtung hat grosse Auswirkungen und kann gesamtgesellschaftlich ein grosses Problem sein.
Wie kann sich das verbessern?
Man kann an eine Haltungsänderung appellieren: erklären, dass man immer beiden Seiten verpflichtet ist – den Besitzern und den Mitarbeitenden. Dieser Sinneswandel beginnt bereits bei der Ausbildung von künftigen Leitungspersonen.
Ein gutes Beispiel ist die katholische Soziallehre, die betont: Arbeit muss menschenwürdig sein. Das bedeutet, Menschen mit Respekt zu begegnen, faire Löhne zu zahlen und echte Wertschätzung im Betrieb zu leben. Wenn diese Haltung sowohl von der Unternehmensleitung als auch von den Eigentümern getragen wird, kann sich viel verbessern.
Kolping setzt sich dafür ein, dass Erwerbsarbeit, Care-Arbeit und Freiwilligenarbeit gleichwertig sind. Können Sie diese Idee kurz erklären?
Das Kolpingwerk hat das sogenannte EFG-Modell entwickelt – das steht für Erwerbs-, Familien- und Gesellschaftsarbeit. Die Idee ist, dass alle drei Bereiche als gleichwertig angesehen werden sollen.
Zunächst geht es dabei um gesellschaftliche Wertschätzung: Die Erziehung von Kindern, die Pflege von Angehörigen oder Freiwilligenarbeit sollen genauso anerkannt werden wie bezahlte Erwerbsarbeit. In einem weiteren Schritt geht es auch um die monetäre Anerkennung – zum Beispiel darum, wie Care-Arbeit bei späteren Rentenleistungen sichtbar gemacht werden kann.
Was würde sich durch diesen Ansatz in der Gesellschaft verändern?
Es geht nicht darum, gesellschaftliches Denken radikal zu revolutionieren. Vielmehr soll das Modell dazu anregen, den Blick zu weiten: Gesellschaftliches Ansehen sollte sich nicht primär über Erwerbsarbeit definieren. Stattdessen könnten Fragen stärker ins Zentrum rücken wie: Was ist aktuell in der Familie wichtig? Wo kann ich mich ehrenamtlich einbringen?
Entscheidend ist dabei, dass sich Menschen, die in nicht-erwerbsbezogenen Bereichen tätig sind, nicht als weniger wertvoll empfinden. Das EFG-Modell will zu mehr Gleichwertigkeit und einem ganzheitlicheren Verständnis von Arbeit beitragen.
Zusatzinfo:
Alexander Suchomsky ist Referent für Arbeit, Gesellschaft und Soziales beim Kolpingwerk Deutschland
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