Sich selbst die Chance geben, anders zu handeln
Rebekka Felder 16.07.2024
Es braucht die geduldige Auseinandersetzung mit Haltungen, Gefühlen und Erfahrungen, um mit Schuld umgehen zu können. Dazu regt der Versöhnungsweg an, den die Kinder der 4. Klasse im Juni besuchten.
Immer wieder kommt es vor: Menschen handeln eigenen Werten zuwider und fügen dadurch sich selbst und anderen Schaden zu. Fehler zu begehen, sich in Schuld zu verstricken, gehört zum menschlichen Dasein und passiert in unterschiedlichster Weise: Man kann sich selbst gegenüber Unrecht tun, wenn eigene physische und psychische Grenzen missachtet werden. Aber auch gegenüber der Natur kann man schuldig werden, wenn ihr Wert und Schutzbedürfnis unbeachtet bleiben. Ebenso wie Mitmenschen gegenüber, wenn deren Grenzen – willentlich oder unbeabsichtigt – verletzt werden.
Neue Chance geben
Ob Stolz, Angst vor Gesichtsverlust oder Minderwertigkeitsgefühlen – so verschieden wie nachvollziehbar sind die Gründe, weshalb sich Menschen mit der eigenen Fehlerhaftigkeit schwertun. Schuld ist ein unangenehmes Gefühl, dem oft zunächst mit verneinendem oder rechtfertigendem Verhalten beizukommen versucht wird. Bekannt sind die bedenklicheren Formen solcher Abwehrmechanismen, die helfen, der Auseinandersetzung mit Widersprüchen und Fehlverhalten zu entgehen: Die Flucht in die Arbeit, übermässiger Konsum von Medien sowie Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch.
Dass Schuldgefühle aber keineswegs nur negativ sind, betont die Philosophin, Theologin und Ordensfrau Melanie Wolfers. Sie sieht in der individuellen Auseinandersetzung mit dem eigenen problematischen Verhalten auch positive Aspekte. Ohne die Fähigkeit, Schuld wahrzunehmen und zu erkennen, würde es keine Rücksichtnahme geben – sie sei es, die als ethisches Gespür ein menschliches Miteinander möglich mache. Die Salvatorianerin sieht in der Schuld darüber hinaus auch ein schöpferisches Potential: Versuche jemand, belastende biografische Situationen anzunehmen, könne dies auch neue Handlungsspielräume eröffnen. Indem man die eigene Fehlerhaftigkeit akzeptiere, gestehe man sich selbst die Chance zu, anders zu handeln. Damit werde eine Kurskorrektur, ein Neubeginn im Leben möglich, so Wolfers.
Zu Vergebung und Frieden bereit
Der ehrliche Blick auf die eigene Vergangenheit kann der Theologin zufolge ermutigen, seinen Mitmenschen zu verzeihen. «Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein», wie es Jesus fordert (Joh 8,7), als er zur Verurteilung einer Ehebrecherin zu Rate gezogen wird. Eine Aussage, die das Bewusstsein weckt, dass niemand immer richtig handelt und die davor warnt, selbstgerecht und vorschnell andere Menschen zu verurteilen. Nachdem keiner der Anwesenden sie steinigt, endet die Begebenheit mit dieser Frau damit, dass Jesus ihr gegenüber Erbarmen zeigt.
Bereitschaft zu Vergebung zu entwickeln stand auch im Zentrum bei der Vorbereitung der Kinder auf das Sakrament der Versöhnung. In der christlichen Gemeinschaft inspiriert dabei ebendiese Gewaltlosigkeit Jesu, der konsequent Vergebungsbereitschaft einfordert. Immer wieder appelliert er, den Mitmenschen zu vergeben und die Gewalt hinter sich zu lassen. Damit zeigt er einen Weg, aus der Gewaltspirale auszubrechen und Frieden eine Chance zu geben. Dieser Weg zu einem versöhnten Zusammenleben ist anspruchsvoll, fordert Zeit und die Auseinandersetzung mit sich selbst – immer wieder.
Mehr lesen? Weitere Beiträge in Kirche und Gesellschaft.