Ohne Naht, von oben bis unten am Stück gewoben
Matthias Kissling 13.10.2023

Der diesjährige Firmweg nimmt ein altes Handwerk in den Blick: das Weben. Dabei entsehen nicht nur dekorative Kunstwerke, diese Art des Handwerks lässt auch Überlegungen über das Leben zu.
«Shaped and seamless weaving» oder «geformtes und nahtloses Weben» heisst das in der Fachsprache. Es ist eine Webart, die ein Kleid – eben ohne eine Naht – gerade in die Form webt. Ohne die Arbeit eine*r Schneider*in wird das Kleid fixfertig gewoben. Die Webart hält einiges Potenzial für die Zukunft bereit. Sie braucht weniger Ressourcen. Wenn die Kleider auf den Leib gewoben (und nicht zugeschnitten und vernäht) werden, brauchen sie 20% weniger Material. Wir haben dazu im Firm-Startweekend einen Vortrag der Textildesignerin und Weberin Sonja Hüppi gehört. Sie hat darüber ihre ausgezeichnete Bachelor-Arbeit an der HSLU geschrieben und ist weiterhin auf der Suche nach einem Produzenten in der Technik!
Diese Webart interessiert uns allerdings nicht nur aus ökologischen Gründen. Und auch Frau Hüppi ist, wie wir, durch eine Textstelle im Johannesevangelium (Joh 19,23-24) auf das «nahtlos Gewobene» gestossen. Sie und wir haben uns gefragt, was dieser Hinweis auf das «am Stück Weben» bedeuten soll. Frau Hüppi hat sich die gestalterische, technische und ökonomische Seite überlegt.
Besondere Menschen
Wir haben uns überlegt, warum das Untergewand Jesu als so wertvoll beschrieben wird. Warum wollten es die Soldaten, die da Jesus gerade ans Kreuz gehängt hatten, nicht zerschneiden? Wir haben Frau Hüppi gefragt. Und sie sagte uns, dass beispielsweise im 17. und 18. Jahrhundert in Schottland und Norddeutschland solche nahtlos geformten Webarbeiten als wahre Meisterstücke galten. Sie zeichneten die Weber*in, die sie gefertigt hatte und die Träger*in, die* sich das Meisterstück leisten konnte, als jemand Besondere*r aus. Und sie vermutet, dass Jesus ein solch kostbares, edles Untergewand von einer Frau oder einem Mann, der oder die Jesus verehrte und ihm nachgefolgt war, geschenkt bekommen hatte. Das also war es! Dieses nahtlos-am-Stück gewobene Kleid zeigt, wie wertvoll Jesus für seine Jüngerinnen und Jünger war.
Dies ganz im Gegensatz zum Obergewand, das die Soldaten auseinandergerissen hatten. Ein Obergewand muss man sich über und über mit Flicken geflickt vorstellen. Ich habe Ihnen dazu ein Bild von einem Gewand, das aus einer christlichen Gemeinde im Libanon des 13. Jahrhunderts stammt und gerade in Riggisberg (BE) ausgestellt ist! Ein solches Kleid auseinander zu trennen ist ganz natürlich. Man löst die Flicken vom alten Kleid und näht sie an schadhaften Stellen an ein neueres Kleid.
Zusammenhalt durch einen
Doch nicht so hier beim Untergewand! Es ist «von oben bis unten am Stück gewoben». Mit e i n e m Faden! Mit einem Faden, der durch Hunderte Fäden gewoben ist und sie zusammenhält. Damit zeigt das Untergewand noch etwas anderes: Ein «Schuss» macht aus hunderten von «Kettfäden» e i n Gewebe. Und das, scheint uns, ist der eigentliche Wert, den Johannes hier zeigen will. Das nahtlose, mit einem Faden Gewobene ist das Bild für den E i n e n, den Heiligen Geist, der uns zahllose Menschen zusammenhält. Wenn das kein Bild für die Firmung ist!
Im Werkteil haben Firmand*innen solche Webarbeiten hergestellt; in verschiedensten Materialien und Texturen. Und auch mit Webfehlern übrigens. Denn ja, solche lässt das Gewebe ja auch zu: das Gewebe, das die Menschen zusammenhält! An der Firmung werden die Arbeiten ausgestellt.
Mehr über den Firmweg finden Sie hier.
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