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Nur scheinbar menschlich

Mariann Bühler 16.06.2025

Ich hänge nach Tagen voll Menschen und Lesungen in den Seilen – nicht der beste Zustand, um eine Kolumne zu schreiben. Wie schön wäre es, jemanden damit zu beauftragen, diesen Text zu schreiben.

Im Jahr 2025 ist das problemlos möglich: ChatGPT aufrufen, einen Prompt eingeben, also eine Anleitung, Enter drücken und innert Sekunden erscheint auf meinem Bildschirm ein Text in der richtigen Länge. Die Maschine teilt mir ausserdem mit, sie schreibe «im Stil von Sursee – bodenständig, reflektiert, aber mit einem Augenzwinkern.» Ob Sursee sich auch so sieht? Und wer ist Sursee eigentlich in diesem Zusammenhang? Aber schauen wir den Text an. 
«Alexa, was ist das gute Leben?» steht in der ersten Zeile. Nun gut – die menschliche Autorin, die ich bin, würde das Thema nicht so plump in den Titel packen. Und sinnieren über Geräte wie Alexa, das ist nichts Neues. «Eine humorvolle Spurensuche zwischen KI, Käsekuchen und Kirchenbänken» verspricht der Text zu sein. Hat die Maschine also aufgeschnappt, dass man Alliterationen als sprachliches Gestaltungsmittel verwenden kann.

 

Etwas fehlt, was man nicht benennen kann
Ich lese weiter, von einem Staubsauger-Roboter, der mir mein Leben erklärt und stelle mir dann angeblich die Frage: «Wenn schon mein Wasserkocher ein besseres Sozialverhalten hat als ich vor dem ersten Kaffee – was bleibt mir da noch?» Spätestens hier (wir sind noch im ersten Drittel) frage ich mich, um was es eigentlich geht in diesem generierten Text. Jeder Satz stimmt, da ist sogar etwas wie ein Rhythmus, es gibt Formulierungen, die durchaus als humorvoll durchgehen könnten – aber etwas fehlt, etwas, das ich nicht ganz benennen kann.

Beim Weiterlesen beschleicht mich ein seltsames Gefühl. Der Text hat etwas generisches, als wäre dahinter nur ein leerer Raum. Ist das vielleicht dieser im Englischen «uncanny Valley» (grusliges Tal) genannte Effekt, der entsteht, wenn etwas auf den ersten Blick menschlich wirkt, aber doch nicht ist? Das Gefühl verstärkt sich beim Weiterlesen. Laut dem ausgespuckten Text gehe ich wöchentlich dreimal zur Kirche und treffe dort Menschen, darunter eine Gitarre spielende Frau Meier. Ein «älterer Mann» sagt ganz ohne Anlass: «Das gute Leben? Das beginnt bei einem einfachen Gebet – und endet vielleicht bei einem guten Stück Kuchen.» Irgendetwas stimmt auch hier nicht. Ein Teil von mir sagt, doch, das könnte man so sagen, und ein andere Teil sagt: Was zur Hölle soll das heissen?

 

Zerrbild der Welt
Noch etwas, das ich nicht ganz festmachen kann am Text, aber deutlich spüre – es klingt auch, als wäre das «ich» im Text ein Mann. Das überrascht mich nicht: Ich habe die besagte Maschine einmal gebeten, ein Dossier für mich zusammenzufassen – spätabends musste ein Gesuch unbedingt noch raus – und das Resultat hat mich erschreckt: Von den vier Frauen und dem einen Mann, die am Projekt beteiligt waren, blieb in der Zusammenfassung nur der Mann übrig.

Von Intelligenz kann man bei KI nicht sprechen. Vielmehr ist sie ein Spiegel, und zwar einer, der ein Zerrbild der echten Welt liefert. KI orientiert sich an statistischer Wahrscheinlichkeit, was dazu führt, dass sie gewisse Dinge verstärkt darstellt. Und so entstehen beispielsweise aus patriarchalen Gesellschaftsstrukturen Projektzusammenfassungen, in denen alle Frauen fehlen. KI verstärkt Bias, gibt eine systematisch verzerrte Wahrnehmung wieder.

 

Mariann Bühler

Mariann Bühler ist Autorin und Literaturvermittlerin. Sie schreibt 2025 als Gastautorin für das Pfarreiblatt Sursee.

 

(Foto: C0 Alexander Sinn/unsplash.com)
 

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