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Neue Gottesdienstformen: Wie sich die Kirche auf die Zukunft einstellt

Rebekka Dahinden 10.02.2025

Um mehr und jüngere Menschen anzusprechen, experimentieren christliche Kirchen mit neuen Gottesdienstformen. Ein Blick über die Pfarrei-, Konfessions- und Landesgrenze hinaus zeigt, was möglich ist.

«Mit Abstand am besten läuft der Harry-Potter-Gottesdienst.» Jonas Goebel fällt es leicht, das beliebteste Angebot seiner neuen Gottesdienste zu benennen. Allgemein, sagt er, seien die neuen Formate sehr gut bei den Gemeindemitgliedern angekommen.
Goebel ist Pastor der evangelisch-lutherischen Gemeinde Hamburg-Lohebrügge. Gemeinsam mit seinem Team hat er sich im Herbst 2022 Gedanken darüber gemacht, wie sich künftig wieder mehr Menschen vom Angebot der Kirchen angesprochen fühlen könnten. Dabei wurden Ideen für Formate gesammelt und diskutiert, Angebote entwickelt, Altes überdacht und entschlossen Neues gewagt. Ergebnis dieser Umorientierung war ein unkonventionelles Gottesdienst-Konzept, das sich mittlerweile etabliert hat. Doch dazu später mehr.

 

Glaube vielfältig feiern
Die Liturgie bildet für christliche Gemeinschaften das Herzstück ihres religiösen Selbstverständnisses. Doch zugleich besuchen immer weniger Menschen traditionelle Gottesdienste. Eine gesellschaftliche Realität, die viele Gläubige und Kirchenmitarbeitende beunruhigt. Während einerseits nach den Ursachen dieser Veränderung gesucht wird, wird andererseits auch intensiv über Wege nachgedacht, wie dem Bedeutungsverlust entgegengewirkt werden kann. 
Während die Corona-Pandemie zwangsläufig neue Formen der Liturgie hervorbrachte – wie etwa Online-Gottesdienste oder Feiern in der Natur – setzen sich viele Kirchenmitarbeitende und Ehrenamtliche nun dafür ein, diese Angebote langfristig weiterzuentwickeln. Ziel ist, den Gottesdienst so zu gestalten, dass er auch über die Gruppe der Kirchenverbundenen hinaus attraktiv und authentisch wirkt.

 

Wer nach Beispielen sucht, findet vielerorts originelle, mit viel Herzblut gestaltete Angebote.


Das Bestreben, hergebrachte Formen zu überarbeiten, muss allerdings nicht den Abschied von traditionellen Gottesdiensten bedeuten: Vielen Mitdenkenden geht es schlicht darum, die Art, wie Glaube gefeiert werden kann, vielfältiger zu gestalten.

 

Mit Herzblut gestaltet
Dies kann beispielsweise so geschehen wie in Luzern, wo in der Peterskapelle das Format «Zwölf nach Zwölf» gefeiert wird: ein kurzer ökumenischer Mittagsimpuls mit vielfältiger Musik, Texten und Momenten der Stille. Oder in der katholischen Kirche Wil in St. Gallen, wo die Gläubigen Impulse am Lagerfeuer, kreative Stationen und an- schliessend einen geselligen Barbetrieb erleben können. Wer nach Beispielen sucht, findet vielerorts originelle, mit viel Herzblut gestaltete Angebote.

 

Vom Theater inspiriert
Jonas Goebel, um nochmals den Blick nach Norddeutschland zu richten, hat sich bei der Neukonzeptionierung am Theaterbesuch orientiert. Wo im Theater pro Spielzeit an unterschiedlichen Daten verschiedene Stücke gezeigt werden, aus denen der Besucher auswählen kann, bieten auch Goebel und sein Team während drei Monaten vier verschiedene Gottesdienste an. Diese Gottesdienste werden drei- bis viermal in identischer Form – gleiche Predigt, gleicher Ablauf, gleiche Lieder – durchgeführt. Dies funktioniert insofern, als die Menschen seiner Erfahrung nach Gottesdienste eher gelegentlich und anlassbezogen als regelmässig besuchen.

 

Den Gottesdienst so gestalten, dass er auch über die Gruppe der Kirchenverbundenen hinaus attraktiv und authentisch wirkt.


Das Besondere an seinem Angebot: Es sind Themengottesdienste, die – wie im Theater – verschiedene Interessen, Bedürfnis- und Altersgruppen ansprechen. Wer durch das Programm stöbert, findet Händel-, «Bibel & Bier»-, «Du & dein Haustier»- oder «Eat read pray»-Literaturgottesdienste. Bei der Suche nach Ideen entwickelt Goebel nicht alles im Alleingang, sondern arbeitet eng mit anderen zusammen. «Ich sammle und erfrage aktiv Ideen aus der Gemeinde. Jetzt gerade bin ich zum Beispiel dabei, in einer offenen WhatsApp-Gruppe mit interessierten Gemeindemitgliedern Ideen für Gottesdienste der nächsten Monate zu sammeln.»

 

Mit dem Leben verbunden
Die Bemühungen haben sich ausbezahlt, die Zahl der Gottesdienstbesuchenden hat sich gemäss Goebel erheblich erhöht. Dies, weil auch kirchenfernere Menschen im Gottesdienst-Programm etwas Passendes für sich entdeckt haben.

 

Es geht darum, die Art, wie Glaube gefeiert werden kann, vielfältiger zu gestalten.


Besucherzahlen sind dabei das Eine; die Bemühungen, Menschen mit der christlichen Botschaft zu erreichen, das Andere. Jonas Goebel begründet die Ausstrahlungskraft seines Programms so: «Insgesamt finden jene unserer Anlässe Anklang, die gute Anknüpfungspunkte im Leben der Menschen haben und zudem eine richtig schöne Atmosphäre schaffen. Angebote wie ‹Lagerfeuer & Abendmahl› oder ‹Wohnzimmerkirche› zum Beispiel.»
Die Gottesdienste selbst sind so facettenreich wie die Reaktionen darauf: Manche Gläubige stehen ihnen skeptisch gegenüber, während andere sie mit Neugier und einem freudigen «endlich!» begrüssen.

 

Foto: Mike Erskime/unsplash
 

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