Mit freundlicher Distanz
Rebekka Felder 13.05.2024
Wir schätzen sie, bleiben aber lieber auf Abstand: Das Verhältnis zu unseren Nachbarn ist geprägt von Verbundenheit und Abgrenzung.
Wir sind froh, wenn wir schnell und unkompliziert Eier oder Backpulver ausborgen können. Und trotzdem huschen wir beim Postholen schnell wieder in die Wohnung zurück, wenn die Nachbarn im Treppenhaus zu hören sind. Viele kennen das widersprüchliche Verhalten aus ihrem eigenen Alltag. Das Beispiel zeigt, wie ambivalent sich das Verhältnis zwischen Nachbarinnen und Nachbarn hierzulande gestaltet: Es ist geprägt von grosser Verbundenheit einerseits und klarer Abgrenzung andererseits. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie des Gottlieb Duttweiler Instituts aus dem Jahr 2022, die sich dem Nachbarschaftsverhältnis in der Schweiz angenommen hat.
Rücksichtsvolles Nebeneinander
Nähe und Distanz, Rückzug und Kontakt, Beziehungspflege und Abgrenzung: Von diesen beiden Polen sei unser Umgang mit Anwohnern hauptsächlich geprägt, heisst es in der Untersuchung. Obwohl grundsätzlich grosses Vertrauen zueinander bestehe, bleibe das Verhältnis zwischen Nachbar*innen distanziert. Ein rücksichtsvolles Nebeneinander statt aktives Miteinander präge die Stimmung im Quartier.
Kleine Gesten sind bedeutungsvoll für unser Nachbarschaftsverhältnis.
Die Menschen schätzen den Abstand und Unabhängigkeit und möchten deshalb den Kontakt nicht weiter vertiefen. Diese diskrete Distanz, betont die Studie, mindere die Hilfsbereitschaft aber keineswegs: Man sei zur Stelle, wenn die Nachbarn einmal Hilfe benötigen, und biete ohne Weiteres seine Unterstützung an. Obwohl man sich kaum kenne, leiste man sich in einer Notlage spontan und umstandslos Nachbarschaftshilfe. Dies habe sich auch in der Pandemie gezeigt. Ebenso lehrte die Corona-Pandemie, dass Nachbarschaft systemrelevant sein kann. Als wichtige soziale Infrastruktur, finde sie – weil etwas verborgen – allerdings zu wenig Beachtung.
Dem entgegenwirken will der Tag der Nachbarschaft, der am 31. Mai von Quartiervereinen und Städten gefeiert wird. Er zeigt auf, wie wertvoll Nachbarschaften sein können: für die gegenseitige Unterstützung im Alltag, gegen Einsamkeit von Alleinstehenden und für die Gemeinschaft allgemein.
Grosses Potential der Nachbarschaft
Die Untersuchung macht deutlich: Das Potential einer funktionierenden Nachbarschaft ist gross. Die Basis dafür, so heisst es, bilde die freundliche Distanz, die Vertrauen schaffe und sich deswegen für viele Menschen stimmig anfühle. Kurzes Hallosagen, gelegentliches Plaudern im Gang, das Aufhalten der Tür oder die Rücksicht bei der Nutzung der gemeinsamen Einrichtung – all diese kleinen Gesten seien bedeutungsvoll für unser Nachbarschaftsverhältnis.
Die Nachbarn – sie sind uns zu nah, als dass sie den Reiz des Neuen versprühen und doch zu fremd, als dass wir sie auch tatsächlich kennen würden. Sie sind vertraut genug, sodass wir im Notfall wagen, auf sie zuzugehen – und uns doch zu unähnlich, als dass wir näheren Kontakt wünschen würden. Das Verhältnis zu unseren Nachbarn ist sensibles, mitunter konfliktanfälliges Wechselspiel
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