Massgeschneiderter Verzicht
Mariann Bühler 10.03.2025

Eine kleine Übung im Verzichten: poetische Medizin von Mascha Kaléko und ein bisschen von allem, was das Leben süss und leicht macht.
Die Dichterin Mascha Kaléko, die vor fünfzig Jahren gestorben ist, bringt in ihren Gedichten so vieles auf den Punkt. Eine Freundin sagt, ihre Gedichte seien eine Art «lyrische Hausapotheke», die zu jeder Schieflage des Lebens einen Trost bereit habe, der einem manchmal ungefragt noch ein Lächeln liefert. Und so bin auch ich neulich fündig geworden bei Mascha Kaléko:
«Ich habe aus traurigem Anlass jüngst
so viel freundschaftlichen Rat erhalten,
dass ich mich genötigt sehe,
einen Posten guten Rat billig
abzugeben.»
Traurig war mein Anlass nicht – jedenfalls nicht so, wie das Mascha Kaléko in ihrem Leben immer wieder erlebt hat. Nein, mir wurde nur aus gesundheitlichen Gründen Verzicht nahegelegt. Ich sollte leichter werden.
Suppenkur oder Kuchenstück
Nun gut. Offenbar gibt es ein Alter, ab dem Unterhaltsarbeiten am eigenen Körper unumgänglich sind. Und offenbar bin ich nun in dem Alter und durchaus bereit, den Tatsachen in die Augen zu blicken. Aber wie wird man leichter?
Ich wurde grosszügig ausgestattet mit gutem Rat: Protein, sehr viel Protein essen. Besser keine Milchprodukte. Viel trinken. Mit den Eisentabletten einen Schluck Orangensaft. Auf Zucker ganz verzichten. Mehr rotes Fleisch. Keine tierischen Produkte. Wenig Salz. Besonders schmackhaft essen, das Kochen zelebrieren, das Essen besonders geniessen. Eine Saftwoche einlegen. Eine Suppenkur sollte es richten. Das war insofern hilfreich, dass mich die gesundheitlichen Missgefühle bald weniger belasteten als die schiere Menge an Ratschlägen, die unaufgefordert bei mir eintrafen und sich nicht vereinbaren liessen.
Doch es gab zum Glück Stimmen, die den Verzicht ermöglichten, indem sie ihn ausdrücklich verweigerten: Zum Beispiel die Freundin, die auf ihrem täglichen Stück Kuchen besteht. Ihr Umfeld sieht schon Diabetes drohend am Horizont stehen. Die Freundin aber sagt: «Das Stück Kuchen versüsst mir das Leben, macht es lebenswert. Darauf freue ich mich jeden Tag. Verzichte ich halt auf ein üppiges Frühstück, nehme ein Süppchen zum Abendessen. Das Kuchenstück bleibt.»
Gelungener Verzicht, scheint mir, hat viel zu tun mit gelungenem Genuss. Mit einem Bewusstsein dafür, was einem gut tut und was nicht.
Das leichte Leben
Eine Suppenkur erleichtert dir das Leben? Dann mach das! Ich habe in meiner Kindheit so viel Suppe gegessen, dass ich keine mehr will. Mehr rotes Fleisch? Wenn dir das gut tut, wunderbar! Ich möchte weniger Fleisch essen. Keine tierischen Produkte? Fein – ich geniesse Käse dermassen, dass mir im Leben etwas fehlen würde ohne. Der Käse ist mein Kuchenstück, das ich nicht hergebe. Und ein Leben ganz ohne Schokolade wäre trist.
So esse ich jeden Tag von den geschenkten Pralinen. Aber nur eine. Selbstverständlich kommt Käse auf die Pasta. Aber die zweite Portion nehme ich vom Salat – bei dem ich in Sachen Saucen dazugelernt habe: Erdnussmus in der Sauce rückt einen Salat in eine erstaunliche Nähe von Käse und Pralinen. Ein kleines Wunder, auf das ich auch nicht verzichten möchte.
Mariann Bühler
Mariann Bühler ist Autorin und Literaturvermittlerin. Sie schreibt 2025 als Gastautorin für das Pfarreiblatt Sursee.
Mascha Kaléko: «Ausverkauf in gutem Rat» In: Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2012. Seite 657
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