Konfliktzone Esstisch
Interview: Giuseppe Corbino 22.10.2024

Bei der Lebensmittelproduktion, in der Tierhaltung und beim Essen: Es geht darum, das richtige Mass zu finden. Das sagt der Ethiker Thomas Wallimann.
Welche Bedeutung hat für dich das gemeinsame Essen?
Ich bin in einer Familie aufgewachsen, wo das Mittag- und Abendessen praktisch immer als Familie am Tisch in der Küche stattfand, eingeleitet und abgeschlossen mit einem Tischgebet. Auch heute geniesse ich, wenn wir gemeinsam am Tisch sitzen und essen können. Dabei geht es nicht nur ums Essen, sondern auch um Gespräche.
Essen ist immer auch mit Genuss verknüpft. Steht der Genuss im Widerspruch zu ethischen Überlegungen?
Überhaupt nicht! Der Genuss ist ja eng mit der Freude verbunden. Dies bringt zum Ausdruck, dass wir als Menschen immer wieder das Glück suchen – leider aber nicht immer finden können. Schon immer wusste man darum, dass zum guten Geniessen auch das gute und richtige Mass gehört. Die Kunst ist also herauszufinden, welcher Genuss macht mich im Kern glücklich – und welches Mass halte ich.
Ist deiner Meinung nach Fleischkonsum (noch) gerechtfertigt und was hältst du von veganen Produkten? Sind diese aus ethischer Perspektive unbedenklich?
Ethik hilft uns, darüber nachzudenken, was uns wichtig ist, welche Werte uns leiten und wie wir dadurch zu besseren Menschen werden, aber auch eine gerechtere Welt mitgestalten. Der Klimawandel macht uns bewusst, wie komplex und geprägt von gegenseitigen Abhängigkeiten unser Leben «funktioniert». Radikale Lösungen sind hier häufig faszinierend, aber oft auch irgendwie unmenschlich, da sie uns in unserer Begrenztheit und Anfälligkeit auf Fehler überfordern. Statt kleine Schritte zu gehen, lassen wir es dann bleiben, weil wir es sowieso nicht schaffen. Darum besteht die Kunst darin, das gute und richtige Mass zu finden, in der Produktion von Lebensmitteln, in der Tierhaltung und so eben auch beim Essen. Zu meinen, es gäbe einen Weg, der keine Probleme aufwirft und für alles und alle nur gut ist, heisst zu meinen, wir könnten den Himmel auf Erden schaffen. Das geht leider nicht. Darum dürfen wir immer wieder neu daran arbeiten, die Welt für Menschen, Tier und alles, was ist, besser zu machen.
Essen hat auch eine gesellschaftliche Komponente. Jeder und jede pocht allerdings immer mehr auf die eigenen Essgewohnheiten. Ist dadurch der gemeinschaftliche Aspekt des Essens bedroht?
Ich glaube nicht. Mit dem Betonen eigener Gewohnheiten bringen Menschen ja zum Ausdruck, dass sie ernst genommen werden wollen. Der Umgang mit Essgewohnheiten ist darum ein Bild und auch ein handfester Prüfort dafür, wie wir mit Unterschieden umgehen und gleichzeitig das Miteinander und Gemeinschaftliche pflegen wollen. Das bedeutet Arbeit: Zuhören, nach Erklärungen und Gründen forschen, selbstkritisch sein, Fragen zulassen und Wege suchen und gehen. Wie auch sonst in unserer Welt zeigt sich beim gesellschaftlichen Aspekt des Essens, dass wir immer wieder an unserer Welt arbeiten müssen. Dies braucht Zeit, aber auch den Willen, eigenen Vorstellungen nachzuforschen. Gelingt es, dann wird gemeinsames Essen zu viel mehr als nur Nahrungsaufnahme.
Konfliktzone Esstisch – ein Gesprächsabend
Mittwoch, 30. Oktober, 19.30 Uhr, Kloster, Geuenseestr. 2, Sursee
Zu Gast sind Thomas Wallimann (Ehtiker, Institut für Sozialethik, ethik22) und Bernadette Furrer-Stadelmann (Köchin/Landwirtin).
Moderation: Giuseppe Corbino
Ohne Anmeldung/kostenlos.
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