nach oben

«Kinder wollen dir nicht egal sein»

Interview: Rebekka Dahinden 22.01.2025

In keinem Beruf muss man so vorbereitet und zugleich spontan sein wie als Kindergartenlehrperson. Franziska Suter erzählt von ihrem Alltag im Windrädli, wo sie täglich über zwanzig Kinder empfängt.

Es sind 22 Charaktere, die jeden Morgen mit unterschiedlichen Ansprüchen, Gesundheitszuständen und Gemütslagen, Flausen und Fantasien auf Franziska Suter warten. Die jungen Persönlichkeiten wollen gehört, verstanden und getröstet werden – mit ungeteilter Aufmerksamkeit und am liebsten sofort. Franziska Suter ist Lehrerin im Kindergarten «Windrädli» in Neuenkirch. Auf die Frage, wie man damit umgeht, wenn die Arbeit Planung und Flexibilität zugleich erfordert, weiss sie Antwort. Denn jeden Tag arbeitet die junge Frau mit über zwanzig Kindern, die auf die Schule und das Leben vorbereitet werden wollen.

 

Struktur von Anfang an
«Ich habe von Anfang an klare Regeln eingeführt und diese auch konsequent eingefordert. So lernen die Kinder schnell, wie wir hier miteinander unterwegs sind.» Franziska Suter macht gleich zu Beginn deutlich, welchen Stellenwert Abmachungen bei ihr im Kindergarten haben. Wer Einblick in ihren Alltag gewinnt, versteht auch, weshalb sie viel von Struktur hält.

Die Lehrerin sitzt an einem niedrigen Tisch, an dem vormittags die Kinder malen, basteln oder Puzzle legen. Bunt ist es im Klassenzimmer des «Windrädli». Spiele sind griffbereit, aber ordentlich versorgt; Bilder, die über Wochentag, Wetter und Jahreszeit aufklären, zieren die Fensterfront. Vom Programm der nächsten Tage erzählt ein Wochenplan. Und kleine Holzbänke, angeordnet zum Kreis, legen eine Mitte frei. Ein Zentrum, das Platz bietet für Spiele, Austausch und Gemeinschaft.


Verspielt und fantasievoll
«Unser Ziel ist, dass die Kinder zu Hause erzählen: ‹Wir haben den ganzen Vormittag gespielt›.» Denn Spiele, so erklärt Franziska Suter, seien immer intrinsisch motiviert. Das unterstütze sie bei ihrer Arbeit mit den Kindern. Ihre Aufgabe als Kindergartenlehrperson sei es, das Spiel so vorzubereiten, dass die Kleinen motiviert sind mitzumachen und dadurch Neues aufnehmen. Kinder sind einfallsreich, reich an Fantasie und einfach zu begeistern, weshalb sie besonders im freien Spiel viel lernen. Im Kindergartenalltag werden damit die grundlegenden Fähigkeiten der Kinder ganz selbstverständlich vermittelt – auch wenn dies nicht immer explizit gelehrt werden.

 

«Von ihrer Entwicklung ist das ‹Ich›, noch sehr stark im Vordergrund.»


Neben dem freien Spiel kommen die Kinder einmal am Tag zur fest eingeplanten Lektion zusammen. Es ist eine spielerische Unterrichtsstunde, in der die Kinder Sachwissen – wie z. B. zum Thema Maus – vermittelt bekommen, vielmehr aber noch: ihre sozialen Kompetenzen trainieren können. So wird im Kindergarten vor allem das soziale Miteinander gefördert. Sich in die Gemeinschaft einfügen und an Regeln halten, eigene und die Gefühle anderer wahrnehmen, aufeinander Rücksicht nehmen, verhandeln oder Konflikte lösen. Die Kompetenzen, die im Kindergarten gefördert werden, sind im Lehrplan 21 schweizweit einheitlich definiert.

 

Kleine Pufferräume entlasten
Vieles im Kindergarten ist darauf ausgelegt, dass die Kinder sich einfach zurechtfinden. «Ich führe immer alles genau ein – jeden Ablauf, jedes Spiel, jedes Aufräumen. Die Kinder wissen dann Bescheid und arbeiten eigenständig. Das entlastet, weil ich in dieser Zeit anderen Kindern helfen kann.» Ausserdem schaffe sie sich kleine Pufferräume, sagt Franziska Suter. Während gewisse Kinder am Morgen wegen nassen Socken, Streitereien auf dem Schulweg oder anderen Problemen länger Zeit zum Ankommen brauchen, sind andere schon bereit und dürfen mit Sammelspielen die Zeit überbrücken. «An manchen Tagen geht‘s schneller, an anderen langsamer.»

 

«Kinder brauchen Rituale»
Wenn die Kinder wissen, was zu tun ist, gibt das Ruhe in den Alltag. Da helfen besonders wiederkehrende Abläufe. «Der Kindi-Alltag ist geprägt durch Rituale.» Das Zusammenkommen am Morgen im Kreis, das Singen des Guten-Morgen-Lieds, die Begrüssung und Verabschiedung der Kinder oder auch die Znünipause – all diese Fixpunkte sind ritualisiert. Kinder brauchen Rituale, ist die Kindergartenlehrerin überzeugt. Ihre Kindergärtner kennen den Ablauf – und wenn sie mal etwas aus Versehen auslasse, dann werde sie von den Kindern schnell korrigiert. Hinterfragt werden die Rituale nie, die Kinder machen frischen Mutes mit. «Das ist Kindergarten. Wenn Frau Suter etwas sagt, ist es so.»

 

«Unser Ziel ist, dass die Kinder zu Hause erzählen: ‹Wir haben den ganzen Vormittag gespielt›.»


Die 28-Jährige arbeitet seit sieben Jahren als Lehrperson im Kindergarten und auf der Unterstufe. Auch Kinder auf der 1. und 2. Primarschulstufe hat sie bereits unterrichtet. Gemeinsam mit ihrer Kollegin, die Integrierte Förderung und Deutsch als Fremdsprache unterrichtet, betreut sie eine Kindergartenklasse. Die Jungs und Mädchen besuchen jeden Vormittag, und zusätzlich einen Nachmittag in der Woche den Kindergarten. Neben dem Unterricht fallen für Suter auch viele administrative Arbeiten an: den Unterricht vor- und nachbereiten, aufräumen sowie Bastelmaterial und Spiele besorgen. Dazu gehört auch, dass sie ihre Einschätzungen zu den einzelnen Kindern schriftlich festhält – zur Vorbereitung der Elterngespräche.

 

«Ich, ich, ich»
Als Pädagogin schafft sie mit ihrem Unterricht einen Raum, in dem die Kinder lernen und entdecken können. Sie beobachtet, leitet an, setzt Leitplanken. Gerade das Setzen von Grenzen sei bei den 4- und 5-Jährigen wichtig, meint Franziska Suter. «Von ihrer Entwicklung ist das ‹Ich›, noch sehr stark im Vordergrund. Zu erklären, dass man manchmal warten muss und nicht gleich drankommt, ist für Kinder in diesem Alter schwierig.» Dabei laufe vieles in ihrer Arbeit mit den Jüngsten des Schulsystems über die Beziehung. Selbst wenn sie die Kinder oft zurechtweisen müsse, spüre sie, wie diese sie mögen – und dankbar sind dafür, dass ihre Lehrerin klare Vorgaben macht.

Wie gut ihre Schützlinge mit Freiheit umgehen können, sei unterschiedlich. Gewisse Kinder brauchen viel Struktur, wünschen sich, dass ihnen alles vorgegeben und erklärt wird. Diese müssen lernen, sich selbst zu beschäftigen. Andere wiederum hätten am liebsten nur Freiheit, merken aber bald, dass auch sie Grenzen brauchen, so Franziska Suter. «Sie wollen dir als Kindergartenlehrerin nicht egal sein.»

 

Druck aus dem Alltag nehmen
Grenzen setzen, Strukturen aufrechterhalten – aber trotzdem flexibel bleiben. Das gelingt der jungen Kindergartenlehrerin umso besser, je mehr sie Druck nimmt aus dem Alltag. Wenn sie fixe Pläne habe, aber sich das im Alltag mit den Kindern nicht umsetzen lasse, stresse das nicht nur sie, sondern übertrage sich auch auf die Kinder. Und diese reagieren ihrerseits wieder. «Wenn du zu viel willst, dann geht es sicher nicht so, wie du geplant hast.» Denn nur wenn sie gelassen sei, könne sie wirklich auf die Bedürfnisse der 22 Kinder eingehen.

 

«Das ist Kindergarten. Wenn Frau Suter etwas sagt, ist es so.»


Die Kindergärtner füllen die Welt mit ihren Gedanken und Gefühlen. Sie leben im Moment, denken laut und sind ganz in dem, was ihnen gerade durch den Kopf geht. Ihre Worte sprudeln ungehindert, ihre Emotionen zeigen sie offen. Und so wird deutlich: Während Erwachsene oft nur jene Emotionen zeigen, welche die Situation erlaubt, dürfen die Kleinen in einem Kindergarten wie dem «Windrädli» mit ihren Gefühlen vertraut werden und ihnen den Raum geben, den sie brauchen. Für sie ist es ein Ort des Wahrnehmens und Entdeckens. Und für Erwachsene eine Umgebung, die zeigt, wie lebendig es werden kann, wenn Bedürfnisse gesehen und Gefühle willkommen sind.
 

Mehr lesen? Weitere Beiträge in Kirche und Gesellschaft.