Keinen Tag arbeiten
Mariann Bühler 28.04.2025

Wir verbringen viel Zeit mit Arbeiten. Aber was ist eigentlich Arbeit? Ein Blick in eine Arbeitsbiografie.
Der Schüler hatte einen schlechten Tag, konnte sich für keinen der Schreibaufträge entscheiden. Mitten in meinem Motivationsversuch fragte er mich, wie ich eigentlich Autorin geworden sei. Ob ich eine Lehre gemacht habe. Wie viel ich verdiene.
Ich erklärte ihm, dass es ganz verschiedene Wege gebe, um Autorin zu werden. Dass man mit Büchern sehr viel oder ganz wenig Geld verdienen kann. Ich erzählte aus meinem eigenen Leben, aus meiner Arbeitsbiografie.
Seit ich sechzehn bin verdiene ich mit meiner Arbeit Geld. Im Rückblick eine kuriose Sammlung an Tätigkeiten: Ich habe Hotelzimmer geputzt, Frühstücksbuffets und Kinder betreut, Zeitungsartikel, Protokolle und Briefe geschrieben, Schuhe und Sprachkurse verkauft, Messestände nummeriert und betreut, Ausritte geführt. Ich habe einen Lesesaal beaufsichtigt und Bücher aus dem Magazin geholt. Ich habe Veranstaltungen, Festivals und Tagungen finanziert und organisiert. Eine Lehre habe ich nicht gemacht, beim Studium habe ich die Fächer so gewählt, dass eine Ausbildung zur Lehrerin möglichst unwahrscheinlich war. Einen eigentlichen Beruf habe ich nie gelernt.
Aber was ist Arbeit
Den Konfuzius zugeschriebenen Spruch kennen Sie bestimmt: «Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten.» Heute habe ich immer öfter das Gefühl, diesen Beruf gefunden zu haben. Aber was Arbeit ist, weiss ich noch nicht mit Sicherheit.
In meiner Familie hiess es manchmal, die letzte Wurst sei für die, die gearbeitet hätten. Damit war immer mein Vater gemeint, der gerade aus dem Stall kam oder vom Heuen. Das hat mich schon als Kind wütend gemacht. Hatte nicht meine Mutter den ganzen Tag gekocht, gewaschen, geputzt, Kinder versorgt? Und hatten wir Kinder nach der Schule nicht beim Heuen geholfen, den Tisch gedeckt, Wäsche gefaltet? Warum galt das, was die Männer tun, als Arbeit, und das, was die Frauen und Kinder tun, nicht? Und wenn es um die Wurst geht, geht es auch um Geld und die Frage: Warum verdient der Manager so viel mehr als die Pflegefachfrau? Der Angestellte mehr als die Angestellte?
Gute Arbeit
Neben dem Geld spielen auch andere Faktoren eine Rolle. So hatte ich einmal eine Stelle, die ideal schien, die mir die nötige finanzielle Sicherheit geben würde. Ich würde genug verdienen, um den Rest der Zeit das zu tun, was mir nicht als Arbeit erschien. Aber ich konnte nicht so arbeiten, wie ich mich das gewohnt war: Jede Entscheidung musste von verschiedenen Stellen abgesegnet werden. Mir fehlten der lange Atem und das ruhige Blut für diese Arbeit.
Als mir nach eineinhalb Jahren eine Stellvertretung in meinem alten Arbeitsbereich angeboten wurde, sagte ich zu, kündigte die nicht so ideale Stelle. Nun wusste ich genau, was zu tun war und traf die nötigen Entscheidungen. Ich freute mich morgens beim Aufstehen und war abends zufrieden. Ich hatte das gute Gefühl, dass ich meine Arbeit gut machte. Und sich die Arbeit fast nicht mehr nach Arbeit anfühlte.
Mehr lesen? Weitere Beiträge in Kirche und Gesellschaft.