In geheimer Mission
Mariann Bühler 13.04.2025

Kennen Sie Paula Schlier? Ihr Name müsste viel bekannter sein, war sie doch die erste deutschsprachige Investigativjournalistin.
In einer Zeit, als Mädchen der Besuch eines Gymnasiums oder gar der Universität verwehrt wurde, war der Beruf der Stenotypistin eine der wenigen Möglichkeiten für Frauen, eigenes Geld zu verdienen und selbstständig zu leben. So ging es auch Paula Schlier: Während ihr Bruder Theologie studierte, versuchte sie über den Umweg als Schreibkraft in verschiedenen Redaktionen Journalistin zu werden.
Kaum erwachsen, arbeitete Paula Schlier während dem Ersten Weltkrieg in einem Lazarett und erhielt 1918 als erste Generation Frauen in Deutschland das Stimmrecht. Diese prägenden Erfahrungen machten sie zur überzeugten Pazifistin und Demokratin: Als Staatsbürgerin wollte sie den neuen demokratischen Staat mitgestalten.
Sie schrieb regelmässig für verschiedene demokratische Zeitungen. In ihren Artikeln zeigte sie deutlich auf, warum die Nationalsozialisten weder national noch sozial waren und konnte auch die möglichen Folgen ihres Antisemitismus genau benennen.
Verdeckte Recherche
1923 war sie in München, wo einer wöchentlich in einem prallvollen Bierkeller Reden schwang. Paula Schlier wollte herausfinden, warum dieser Hitler, dessen platte Reden so voller Hass und Hetze waren, einen solchen Zulauf hatte.
Sie liess sich beim Parteiblatt der NSDAP, dem Völkischen Beobachter, als Schreibkraft anstellen – nicht etwa unter falschem Namen, nein, als Paula Schlier, dem Namen, mit dem sie ihre demokratischen Artikel schrieb. Eine bessere Tarnung war schlicht nicht nötig: Als Frau und vermeintlich naive «Tippmamsell» wurde sie schlicht nicht wahrgenommen. Und so notierte sie alles, was in der Redaktion des Völkischen Beobachters während des Hitler-Putsches geschah, in ein kleines Notizheft auf dem «Ausgabenbuch Paula Schlier» stand.
Historisches Dokument
1926 erschien ihr autobiographisches Buch «Petras Aufzeichnungen oder Konzept einer Jugend nach dem Diktat der Zeit». Darin berichtet sie von ihrer verdeckten Recherche in der Redaktion des Nazi-Parteiblatts und bezieht deutlich Stellung gegen den Nationalsozialismus. Sie schreibt unsentimental, beobachtet und analysiert. Als eine der ersten beschreibt sie zum Beispiel auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.
Den Literaturwissenschaftlerinnen Annette Steinsiek und Ursula Schneider ist es gelungen nachzuweisen, dass das Buch von Paula Schlier mehr ist als literarische Verarbeitung ihrer Erfahrung: Es ist so nah an den historischen Ereignissen verfasst, dass es als historisches Dokument gelten kann.
Bis heute wird auch immer wieder mahnend das Kapitel über den Hitler-Putsch abgedruckt. Und bis heute taucht immer wieder die Frage auf: Wie konnte es sein, dass so früh, so deutlich vor den Nazis gewarnt wurde und trotzdem niemand rechtzeitig reagierte? Was ist tatsächlich als Geheimnis verborgen und was wollen wir schlicht nicht hören?
Mariann Bühler ist Autorin und Literaturvermittlerin. Sie schreibt 2025 als Gastautorin für das Pfarreiblatt Sursee.
Paula Schlier: Petras Aufzeichnungen. Konzept einer Jugend nach dem Diktat der Zeit. Hg. v. Ursula Schneider und Annette Steinsiek. Otto Müller Verlag, Salzburg 2018.
(Foto: CC0, cottonbro studio, pexels)
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