nach oben

«Haare schneiden ist immer emotional»

Rebekka Felder 03.04.2024

Färben, schneiden, rasieren, föhnen – der Friseursalon ist ein Ort der Veränderung. Dabei gehen äusserliche Neuerungen oft mit innerlichen einher, weiss Coiffeuse Nadja Arnold.

Haben Sie sich schon einmal Ihre langen Haare raspelkurz schneiden lassen? Oder sind auf eine komplett andere Haarfarbe umgestiegen? Es müssen nicht immer radikale Veränderungen sein, wenn ein Friseurbesuch ansteht. Aber fällt der Schnitt mal doch etwas wilder und die Farbe auffälliger aus, so hat der Wunsch nach Veränderung oft einen Grund: «Viele Menschen haben das Bedürfnis, innere Veränderungen auch nach aussen zu zeigen und tun dies mit einer neuen Frisur», sagt Nadja Arnold. Die erfahrene Coiffeuse, seit zwanzig Jahren selbstständig, betreibt seit fünf Jahren das Haar-Atelier im Surseer Städtli. Trennungen, Umbrüche und Neuanfänge – emotionale Ausnahmesituationen, seien sie positiv oder negativ, prägen die Menschen und lösen das Bedürfnis aus, die Veränderung auch äusserlich zu zeigen. Der Gang zum Friseur ist dafür eine schnelle und wirkungsvolle Massnahme. Aber nicht nur punktuelle Lebensereignisse, sondern auch längere Prozesse wie etwa die Auseinandersetzung mit dem Alter können im Friseurbesuch sichtbar werden, meint die Fachfrau.

Frisur als Mittel der Selbstgestaltung

Haarschnitte haben viel mit unserem Innenleben zu tun. Diese Erfahrung, die Nadja Arnold tagtäglich in ihrem Salon macht, bestätigt auch die Wissenschaft: Einer Studie zufolge, die 2017 von der Yale-Universität durchgeführt wurde, steht die Haarpracht in engem Zusammenhang zu unserer Selbst- und Fremdwahrnehmung. Haare erzählen viel über Lebensstil, Identität und Beziehungen; sie können Gruppenzugehörigkeit, aber auch Ablehnung ausdrücken. Damit zeigt man mit der Frisur nicht nur, wer man ist – sondern auch, wer man sein will: Die Feminine mit den langen Haaren, der Lebenskünstler mit dem Undercut, die Sportliche mit dem Kurzhaarschnitt oder der Unabhängige mit dem Man Bun. Gleichzeitig prägt die Frisur die Wahrnehmung der eigenen Person; ihr Einfluss auf das Wohlbefinden und Selbstvertrauen ist nicht zu unterschätzen.

Zur Veränderung bereit

Wer eine Veränderung wünscht, wird von Nadja Arnold vorgängig ausführlich beraten. «Oftmals kommen Leute, äussern den Wunsch nach Veränderung – und zögern letztlich doch. Man kann vorbesprechen und beraten, aber die Person selbst muss letztlich für den Schritt bereit sein. Ich dränge sie zu nichts.» Haare gelten als etwas sehr Persönliches. Unabgesprochene oder zu extreme Eingriffe können schnell als übergriffig wahrgenommen werden.


Mit der Frisur zeigt man nicht nur, wer man ist – sondern auch, wer man sein will.


Wenn die Kundschaft dann aber doch eine grössere Veränderung wagt, fallen die Reaktionen stark aus. «Ich sehe ihre Freude, sie drückt sich meist schon während des Haareschneidens aus. Manche Kunden reagieren jeweils stärker, andere weniger. Haare schneiden ist aber immer emotional.» Freudentränen und Umarmungen erlebt Arnold regelmässig; auch Dankeskarten für gerettete Haarfrisuren hat sie schon erhalten. Die Wertschätzung ist gross.

Nadja Arnold liebt ihren Beruf. Für sie geht dabei die Arbeit als Coiffeuse weit über das Haareschneiden hinaus: Durch langjährige Kundschaft entstehen Beziehungen, wird Vertrauen aufgebaut – eine Voraussetzung dafür, dass sie überhaupt wirken kann: «Durch meine Arbeit kann ich den Leuten helfen, ein Stück weit mehr zu sich zu finden. Wenn sie dann strahlend meinen Salon verlassen, ist es für mich das Grösste.»

Mehr lesen? Weitere Beiträge in Kirche und Gesellschaft.