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Familiäre Weggemeinschaft

Niklaus Kuster 08.05.2024

In Familie und Kirche sind wir als Gemeinschaft unterwegs. Ein Miteinander, das Halt gibt, aber auch viel von uns fordert.

Thomas, dessen Geburt mich Mitte März vor sechzig Jahren Bruder werden liess, lädt zu einem Familienfest. Meine Sippe trifft sich im heimatlichen Dorf Eschenbach SG. Drei Generationen sitzen zu Tisch. Die Jüngsten bringen ihre Liebsten mit: junge Paare am Anfang des gemeinsamen Lebensweges! Beim Apéro läuft ein Film, den mein Vater im Lauf des Jahres 1970 drehte: Kindheitserinnerungen machen uns fünf Geschwistern neu bewusst, wie reich unsere gemeinsamen Jahre gewesen sind. Meine Eltern haben klare Erinnerungen an bald neun Jahrzehnte, und die Jüngsten hören fasziniert, wie ein Dorflehrer 1950 jungsteinzeitliche Hügelgräber in einem nahen Wald ausgrub. Thomas’ Partnerin ist ohne Geschwister und Kinder. Sie sagt mit verschmitzter Freude, sie habe sich eine Sippe ausgesucht, die vor Leben sprudle!


Geschwister wählen sich nicht aus, sondern werden einander gegeben.


Die meisten von Ihnen lernten in der eigenen Familie, gemeinsam auf dem Weg zu sein: geborgen und herausgefordert, in einem Miteinander, das tragend oder auch strapazierend sein kann, mit Licht und Schatten, prägend und zugleich in eine erwachsene Freiheit führend. Wer eine eigene Familie gründet, wagt, erlebt und gestaltet eine neue Familiengeschichte.


Weg der Geschwisterlichkeit gehen

«Schwestern und Brüder: guten Abend!» mit diesem ebenso herzlichen wie schlichten Gruss hat Papst Franziskus am Abend seiner Wahl 250 000 Menschen auf dem Petersplatz und Millionen von medial Zugeschalteten gegrüsst. Bevor er dann Programmatisches sagte, lud er alle zu einem gemeinsamen Vaterunser ein. Kein Papst in Rom verbindet zu einer grossen Glaubensfamilie, sondern der Vater im Himmel. In der folgenden Kurzansprache ermutigte «fratello papa», wie Franziskus bald genannt wurde, alle Zuschauenden, miteinander «auf den Weg der Geschwisterlichkeit» zu gehen.

In den folgenden Wochen führten Treffen mit Delegationen grosser und kleiner Kirchen zu bewegten und begeisterten Kommentaren: Es seien echt geschwisterliche Begegnungen gewesen! Im Gegensatz zu Benedikt XVI., der immer wieder das Trennende betonte, sieht Franziskus das Verbindende: In welcher Kirche auch immer gespendet und gefeiert, verbindet die Taufe zu einer Geschwisterlichkeit aus dem Glauben. Und Geschwister wählen sich nicht aus, sondern werden einander gegeben.


Aufgehoben in Weggemeinschaft

In meine Familie geboren, wurde ich auch in meine Kirche hinein getauft. Ich bin meinen Eltern dankbar dafür: Die Taufe hat eine Weggemeinschaft begründet, die mir zunächst einen kindlichen Glauben vermittelt hat. Dieser ist jugendlich und erwachsen geworden. Meine Eltern, Religionslehrerinnen und ein charismatischer Jugendseelsorger haben das Ihre dazu beigetragen, ebenso eine kirchliche Basisgruppe junger Erwachsener. Als Franziskaner vertieft sich mir dieses Gemeinschaftsgefühl: Mit Bildungsaufträgen unterwegs, wurde ich auch in Thailand, auf Madagaskar und im Amazonasurwald als Bruder familiär empfangen: Jesu Zusage, seine Gefährtinnen und Gefährten fänden «hundertfach Häuser und Geschwister» (Mk 10, Mt 19), sie hätte ihren Tiefsinn nicht eindrücklicher erweisen können – tausendfach


Niklaus Kuster

Der Kapuziner Niklaus Kuster ist 2024 Gastautor. Er schreibt aus der Sicht eines Ordensmannes und Theologen für das Surseer Pfarreiblatt

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