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Erstarrt und neu belebt

Niklaus Kuster 31.03.2024

Das Frühlingserwachen – in der Natur und in uns selbst – verbindet uns mit Ostern.

Sieben Pilgertage führten mich im Spätwinter durch die spanische Meseta. Der Jakobsweg von Madrid nach Santiago de Compostela schlängelte sich nördlich der noch verschneiten Sierra durch die Hochebene, die bis zu 1000 Meter über Meer, dem Wind ausgesetzt, liegt. Da die Pilgerherbergen noch geschlossen und die Dörfer halb verlassen waren, nächtigte ich im Freien unter dem funkelnden Sternenhimmel. Die Luftfeuchtigkeit aus den Regentagen zuvor sorgte dafür, dass sich in den klirrend kalten Nächten eine Eisschicht auf meinem Schlafsack bildete. Frühmorgens knirschte das Gras unter meinen Füssen, standen die Bäume weiss und gefror die Atemluft in meinem Bart. Die Kraft der südlichen Februarsonne weckte das Leben in zwei Stunden neu. Verwandlung! Eine erstarrte Welt erwacht zu neuer Vitalität. Verzaubert und nachdenklich zugleich fragte ich mich in meinen Pilgertagen vor sechs Wochen, wo ich mir solche Verwandlung auch in meinem Leben, in unserer Gesellschaft und Kirche wünsche! Dass sich Erstarrung sanft löse, Erkaltetes wieder erwärme und Frostiges in neues Leben verwandle.

Frühlingserwachen in Ostern

Notker Balbulus, ein Dichter-Mönch im Kloster St. Gallen, schrieb vor bald 1200 Jahren ein Osterlied, das das Frühlingserwachen mit dem Ostergeschehen verbindet:

Es leuchtet der Tag, den Gott gemacht hat: Er, der den Tod vernichtet und siegreich seinen Freunden als Lebendiger erscheint: zuerst Maria, dann den Aposteln, denen er die Schriften deutet und das Herz öffnet, damit sie über ihn das Dunkle verstehen. Darum feiert alles Christus in der Auferstehung voller Freude: Blumen und Saaten grünen in neu belebter Fruchtbarkeit und die Vögel jubilieren süss, nachdem der unfreundliche Frost verscheucht ist. Heller leuchten Sonne und Mond, die bei Christi Tod trüb waren.

Erstarrung findet zu neuem Leben

Die Ostererzählungen, die wir in diesen Tagen hören, schildern verschiedene Formen der Erstarrung: Jesu Feinde, die Jerusalems Tempelstaat kontrollierten, hatten den Rabbi eiskalt aus dem Weg geräumt. Eiskalte Machtpolitiker, die Tausende in unsinnige Kriege schicken oder das eigene Volk verhungern lassen, sorgen auch heute für Schrecken. Starr vor Angst verbargen sich die Apostel hinter verschlossenen Türen. Selbst in der sicheren Schweiz zwingen neue Formen des Antisemitismus den Staat, den Polizeischutz für Synagogen zu verstärken. Beziehungen, die einmal verliebt begannen und fruchtbar geworden sind, können erkalten und erstarren. Maria von Magdala erlebte im Garten bei Golgota, wie die Mauer der Trauer durchbrochen wird. Die Gefährten von Emmaus, auf die Notker Balbulus anspielt, wurden schrittweise aus Enttäuschung und Resignation befreit: gemeinsame Schritte mit dem Auferstandenen liessen «ihre Herzen brennen». Erstarrung kann zu neuem Leben finden: in mir, an Leib und Seele, aber auch zwischenmenschlich, gesellschaftlich, politisch und kirchlich. Die Osterzeit lädt uns ein, Erstarrtes in mir und um mich, in meinem Alltag, wie auch in der grossen Welt, ins Licht des Auferstandenen zu stellen: hoffnungsvoll und engagiert.


Niklaus Kuster

Der Kapuziner Niklaus Kuster ist 2024 Gastautor. Er schreibt aus der Sicht eines Ordensmannes und Theologen für das Surseer Pfarreiblatt.

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