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Eine lichtvolle Nacht

Niklaus Kuster 20.12.2024

Die Frage, warum Gott Mensch wurde im Laufe der Zeit ganz unterschiedlich beantwortet: Krisenmanager oder Bruder? Die Antwort darauf macht für uns einen Unterschied.

Sind Sie risikobereit? Gott ist es! Kein Fest macht dies so deutlich wie Weihnachten! Sein Sohn kommt als Kind eines jungen Paares zur Welt, das in einem besetzten Land lebt. Jesus wird unter einem Herrscher geboren, der in seinem Machtwahn auch Kinder umbringen lässt. Die junge Familie ist zur Flucht gezwungen, sodass schon das Baby Migrationshintergrund bekommt. Warum tat Gott sich das an? Hätte sein Sohn nicht machtvoller auftreten und «effizienter» wirken können? Warum so bescheiden, so unscheinbar, so verletzlich? Warum kam Jesus nicht im Machtzentrum zur Welt, sondern in einem Krähenwinkel des römischen Weltreiches? Warum ist Gott überhaupt Mensch geworden?


Auf der Spur zürnender Götter

Die christliche Theologie hat diese alte Frage oft eng beantwortet. Weil Israel nicht auf seine Propheten gehört hat, sendet Gott seinen Sohn, lautet eine Antwort in den Evangelien. Die Liebe Gottes unternimmt alles für Israel, damit seine Zuwendung eine liebende Antwort findet, sagte schon der Prophet Hosea. Paulus entfaltet die Idee der Sühne: Jesus opfert sich, um Israels Schuld auszulöschen. Die lateinische und die germanische Theologie der ersten Jahrhunderte wird dieser Spur folgen und wendet das alte Motiv der zürnenden Götter auf den himmlischen Vater an.


Fasziniert von der Schöpfung

Die Mystikerin wie Hildegard von Bingen stellt Gottes Handeln in ein ganz anderes Licht: Die «Prophetin vom Rhein» sieht den Schöpfer so fasziniert von seiner Schöpfung, dass er seit Anbeginn entschlossen ist, einmal selbst in sie einzutreten. Gott lässt sich mit einem Architekten vergleichen, der so glücklich auf ein von ihm gebautes Haus schaut, dass er selbst eine Zeit lang in ihm wohnen will. Gottes Menschwerdung wäre demnach auch ohne Verlorenheit der Menschen erfolgt, «in der Fülle der Zeit». Wie grossartig die Mystikerin von Gott denkt und wie eng die dominante Theologie des Mittelalters dagegen erscheint! Nach dieser trat Gottes Sohn in die Welt ein, weil die Menschen in ihrer Verirrung einen Pannenhelfer, Krisenmanager und Troubleshooter brauchten. Eine Rettungsaktion erfolgt jedoch notgedrungen und folgt weder einer Sehnsucht noch einem Herzenswunsch.


Liebe sucht Nähe

Die franziskanische Theologie gibt der Inspiration Hildegards eine noch intimere Qualität. Der schottische Franziskaner Johannes Duns Scotus sah Gott aus reiner Liebe in die Schöpfung kommen. Denn Liebe kann nicht auf Distanz bleiben. Sie will auf Augenhöhe begegnen und sucht die Nähe von Du zu Du. Gott will mit seinem Sohn den Geschöpfen in die Augen schauen und das Brot mit uns Menschen teilen. Liebe will gemeinsame Wege gehen. Der Sohn Gottes kommt nicht in die Welt wie ein Nothelfer oder Rettungsarzt in einer Katastrophe, sondern als Bruder, der mit uns leben will und der sich mit Leib und Seele auf Erden engagiert. Der Gottessohn und wir Menschen sind seither auf geschwisterliche Art verbunden, um unsere Welt friedlicher, gerechter und menschlicher zu gestalten. Dafür riskiert sich Gott in Betlehem – derart, dass er sich Menschen als schutzloses Kind in die Arme legt!

Niklaus Kuster

Der Kapuziner Niklaus Kuster ist 2024 Gastautor. Er schreibt aus der Sicht eines Ordensmannes und Theologen für das Pfarreiblatt Sursee.


Bild: CC0; unsplash

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