Eine Form von Liebe
Mariann Bühler 26.11.2025
Diese Woche habe ich eine Freundin in Berlin getroffen. Ihr Kind ist eineinhalb Jahre alt. Wir sind zu dritt losgezogen, im Kindertempo in den Nachmittag hinein.
Auf dem Spielplatz haben wir geschaukelt und gewippt. Wir stellten fest: wippen – oder gigampfe, natürlich habe ich das schweizerdeutsche Wort als Geschenk dagelassen – geht sehr gut mit zwei Erwachsenen und einem Kind.
Wir haben über dieses und jenes geredet, immer wieder unterbrochen von Interaktionen mit dem Kind. Wir haben die Hasen besucht und Wörter geübt. Wir haben einen Kaffee getrunken und Kuchen gegessen. Das Kind hat die Mütze ausgezogen und die Freundin hat ihm die Mütze wieder angezogen. Wir haben zugeschaut und gewartet, bis das Kind das Tor zum Spielplatz geschlossen, uns gewunken und dann das Tor wieder aufgemacht hat.
Das erste Jahr
Ich hatte eine wunderbare Zeit mit meiner Freundin, einen freien Nachmittag, auch einen entschleunigten, und einen, der mir Spass machte: zu beobachten, wie das Kind die Welt entdeckt, sich und seinen Körper ausprobiert, Dinge selbst machen will. Später habe ich mit dem Kind Bücher und Tierbilder angeschaut, ein paar Lieder gesungen. Eine halbe Stunde, in der meine Freundin ein Abendessen kochte.
Nach dem Essen räumte ihr Partner mit dem Kind die Abwaschmaschine ein und meine Freundin erzählte von ihrem letzten Jahr. Es muss ein hartes Jahr gewesen sein, und ich hörte eine Unsicherheit, ob und wie sie das überhaupt erzählen sollte – schliesslich hatte sie sich das Kind sehnlichst gewünscht. Und da war etwas wie eine Entschuldigung, dass ich als Freundin mich nun ihr anpassen müsse, sie sei so dankbar für meine Flexibilität. Ich war irritiert, hatte ich doch gerade einen wunderbaren Nachmittag mit ihr und ihrem Kind verbracht.
Es fehle ihr manchmal das Dorf, sie träume von einem Umfeld, in dem sich viele Menschen um die Kleinsten kümmern. Wo sie nicht ganze Tage allein mit dem Kind verbringen müsse und ihr fast die Decke auf den Kopf falle. Darum sei sie so dankbar, dass ihre Freund:innen zu ihr kommen, seit das Kind da sei. Sie nahm also, zusätzlich zur Belastung und Verantwortung, die ihr das Mutter sein gebracht hatte, auch noch sich selbst als Belastung für ihre Freundschaften wahr. Das schmerzte mich gleich doppelt für sie.
Starke Freundschaften
Sind diese kleinen Anpassungen in einer Freundschaft, die Treffen bei der Freundin, der Gang zum Spielplatz, nicht eine Selbstverständlichkeit? Das gehört doch zu einer Freundschaft, die den Namen verdient, dass sie sich wandeln kann, dass sie eine Form findet, die zum sich stets verändernden Leben passt. Sind solche zwischenmenschlichen Beziehungen nicht dann am stärksten, wenn sie sich wandeln können? Ich musste an die Worte denken, die zu Trauungen gehören: «Ich verspreche dir die Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis der Tod uns scheidet. Ich will dich lieben, achten und ehren alle Tage meines Lebens.» Gilt das nicht auch für Freundschaften? Freundschaften haben keinen gesetzlichen Status, sind kein Sakrament, sind einfach eine Form von Liebe, die im besten Fall anhaltend und stark ist – und sich entlang des Lebens stets verändert.
Und so bin ich gespannt, was wir bei unserem nächsten Treffen zu dritt unternehmen. Und freue mich auf den Tag, an dem das Kind und ich zusammen kochen, während meine Freundin auf dem Sofa ein Buch liest.
Mariann Bühler ist Autorin und Literaturvermittlerin. Sie schreibt 2025 als Gastautorin für das Pfarreiblatt Sursee.
(Foto: CC0 Vasiliki Theodoridou/unsplash.com)
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