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Dem Ich schreibend auf der Spur

rf 20.09.2023

Gedanken ordnen, Muster erkennen, Neuanfänge wagen – und Schlusspunkte setzen. Das ist Journaling.

Die Motive, weshalb man anstelle zur Tastatur zu Stift und Papier greift, sind vielseitig: Einfachheit, Schnelligkeit, vielleicht auch aus Nostalgie. Wissenschaftlich bestätigte Vorteile des Schreibens von Hand mögen dabei zweitrangig sein. Doch genau diese versucht die Neurowissenschaft nun wieder vermehrt ins Bewusstsein zu rücken: So findet beim analogen Schreiben eine Interaktion zwischen beiden Gehirnhälften statt, welche motorische, kognitive und emotionale Prozesse in Gang setzt. Eine Wechselwirkung, die sich positiv auf den Zugang zu Gefühlen und Gedanken auswirkt und deren Ausdruck erleichtert.

Was das Schreiben von Hand dabei alles auslöst, ist nicht unwesentlich, denn oftmals resultieren aus dem Zusammenspiel von Denken, Fühlen und Schreiben tiefe Einsichten, neue Perspektiven und Ideen. Ein fruchtbarer Prozess, den sich viele zunutze machen – im Journaling, der etwas anderen Form des Tagebuchschreibens.

Festhalten, erkennen, wachsen

Beim Journaling geht es in erster Linie um eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst, wobei vor allem das innere Erleben im Fokus steht. Das regelmässige, handschriftliche Festhalten von Gedanken hilft, sich selbst besser zu verstehen: Wiederkehrende Gedankengänge, Gefühle und Verhaltensmuster werden erkannt und hinterfragt, wobei die bewusste Reflexion zu mehr Klarheit über die eigenen Bedürfnisse verhilft. Mentale Stärkung und persönliche Entwicklung sind damit zentrale Elemente von Journaling; – und der nachweislich positive Einfluss des intensiven Schreibens auf die psychische Gesundheit Grund dafür, dass diese Praxis sogar Eingang in die psychotherapeutische Arbeitsweise gefunden hat.

Neugieriger Blick nach innen

Die beliebte Schreibmethode kommt ursprünglich aus den USA, wo zwischen Diary – Tagebuch – und Journaling schreiben unterschieden wird. Beim Tagebuchschreiben fokussieren die Einträge äussere Erlebnisse; es wird situativ notiert und frei reflektiert. Das Bedürfnis, bedeutungsvolle Erlebnisse festzuhalten, aber auch prägende Lebenserfahrungen dienen oftmals als Motivation bzw. Auslöser für das Führen eines Tagebuches.

Journaling hingegen ist mehr als strukturierte Persönlichkeitsentwicklung mit konkreter Absicht zu verstehen. Sie bezieht sich auf die individuelle Gefühls- und Gedankenwelt und variiert entsprechend: Persönliche Fragen, Bedürfnisse und Gewohnheiten werden gezielt in den Blick genommen. Nicht zwingend täglich, aber über einen längeren Zeitraum hinweg wird das eigens dafür angelegte Heft geführt – gerne auch kalligrafisch sorgfältig gestaltet. Auch in der religionspädagogischen Praxis bewährt sich die Methode, um spezifische Themen mit Jugendlichen affektiv zu erschliessen.

Ob im therapeutischen, pädagogischen oder privaten Kontext: Journaling ist eine so vielfältige wie kreative Form von Biografiearbeit, die einlädt, einen Blick nach innen zu werfen – und seiner Gedankenwelt nicht nur Ausdruck, sondern ihr im wahrsten Sinne des Wortes auch eine persönliche Handschrift zu verleihen.

(Foto: CC0 Pixabay)



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