Das Ziel ist der Weltfrieden
Sylvia Stam 06.05.2025

Er ist Pazifist und befürwortet dennoch den Einsatz von Waffen gegen den russischen Aggressor: der ehemalige Zuger Nationalrat Jo Lang. Ebenso wichtig ist ihm die Frage, wer Putins Kriegskasse füllt.
Sie sind bekannt als Pazifist und Mitinitiant der GSoA-Initiative. Europa rüstet auf, manche sprechen von einem dritten Weltkrieg. Wie kann man in dieser Situation Pazifist sein?
Jo Lang: Pazifismus kommt von lateinisch «pacem facere», Frieden schaffen. Das Ziel des Pazifismus ist der Weltfrieden. Die grösste Niederlage für den Pazifismus ist der Sieg eines Aggressors. Im Ringen um einen Weltfrieden kann es Situationen geben, in denen Waffen nötig sind. Im Zweiten Weltkrieg hätte man die Nazis nicht ohne Waffen besiegen können.
Pazifismus so verstanden bezieht sich nicht auf die Mittel, sondern auf das Ziel.
Ja. Ich vertrete einen Zielpazifismus. Wer auf die Mittel fokussiert, stellt die Frage der Gewalt ins Zentrum und verabsolutiert das Thema Waffeneinsatz. Aber man kann Weg und Ziel nie radikal trennen. Wer den Weltfrieden zum Ziel hat, priorisiert natürlich die friedlichen Wege und zivilen Mittel dahin.
Viele Christ:innen nehmen das fünfte Gebot «Du sollst nicht töten» ernst und lehnen jede Form von Gewalt zur Konfliktlösung ab. Was entgegnen Sie diesen?
Das fünfte Gebot ist eine wichtige Richtlinie. Aber das menschliche Leben ist zu komplex, als dass man diese Gebote im praktischen Leben jederzeit umsetzen könnte. Es gibt Situationen, in denen man Waffen einsetzen muss.
Wenn wir diesen Zielpazifismus auf die Schweiz beziehen, bedeutet das, sie soll Waffen an die Ukraine liefern?
Nein. Das Neutralitätsrecht erlaubt der Schweiz nicht, an eine von zwei Kriegsparteien Waffen zu liefern oder zu vermitteln. Entweder sie liefert beiden Seiten oder gar nicht.
Was kann die Schweiz denn tun, um die Ukraine zu unterstützen?
Worüber viel zu wenig gesprochen wird: Die Schweiz hat Putins Kriegskasse massiv mitgefüllt. Unser Land ist der wichtigste Rohstoffhandelsplatz der Welt und Russland ist das rohstoffreichste Land auf dem eurasischen Kontinent. Diese Kombination führt dazu, dass Putin, der seine Kriegskasse wesentlich mit dem Rohstoffverkauf füllt, aus der Schweiz mit Abermilliarden unterstützt wurde, und zwar nicht erst seit 2022.
Und darüber wird zu wenig geredet?
Ja. Man redet über das, was man nicht darf, statt über das, was man tat und tut. Das hat Folgen für das, was man tun müsste. Wäre das Hauptthema in der Schweiz in den letzten Jahren Putins Kriegskasse gewesen, dann wäre der Druck heute grösser, der Ukraine Finanzhilfe zu leisten. Die Schweiz trägt eine Mitverantwortung dafür, dass Putin die Ukraine zerstören kann. Also trägt sie jetzt eine besondere Verantwortung für den Wiederaufbau. Die gleichen Politiker:innen, die die Waffenfrage gepuscht haben, haben bis jetzt alle Grosskredite zugunsten der Ukraine abgelehnt.
Die Luzerner Nationalrätin Andrea Gmür möchte in die Schweizer Verteidigung investieren. Wie sehen Sie das?
Die Schweiz würde diese Milliarden besser der Ukraine zur Verfügung stellen. Es gibt einen breiten Konsens auch in Kreisen der Armeespitze, dass der militärische Alleingang der Schweiz vorbei ist. Gemäss Armeechef Thomas Süssli könnte sich die Schweiz allein nur ein paar Tage verteidigen. Daher steht sie militärisch-rational vor zwei Optionen: Entweder sie schafft die Neutralität ab und tritt einem Militärbündnis bei, das wäre wahrscheinlich die NATO. Die andere Option: Sie schafft die Armee ab, entwickelt ein neues Verständnis von Neutralität, die sich im Rahmen der UNO und der OSZE auf zivile Verteidigung fokussiert, die keine Kriegsgeschäfte mehr betreibt, auf Entwicklungspolitik und zivile Friedenspolitik setzt. Diese Variante halte ich für vernünftiger. Beide Optionen sind allerdings nicht mehrheitsfähig.
Stattdessen wird ein Mittelweg versucht.
Der Mittelweg, den die Schweiz betreibt, ist untauglich und kostet unnötig viel Geld. Sie setzt einerseits auf den Alleingang. Dazu braucht es Panzer und Kanonen. Gleichzeitig setzt sie auf Kooperation mit der NATO. Dazu braucht es die Kampfjets. Der Militärhistoriker Bruno Lezzi, ein Befürworter eines NATO-Beitritts, hält unsere Miliz-Armee für nicht NATO-tauglich. Bis ein Soldat in einer ernsthaften NATO-Übung drin ist, braucht er drei Wochen – so lange wie ein Schweizer WK dauert … Kooperation mit der NATO hiesse auch, an Luft-Boden-Übungen mit bis zu 400 km Reichweite teilzunehmen. Das erlaubt die Neutralität nicht. Die Miliz wie die Neutralität verhindern also eine NATO-Kooperation.
Haben Sie Hoffnung auf Frieden in der Ukraine?
Auf einen gerechten Frieden! Das ist eine Ukraine, die souverän ihre Aussenpolitik bestimmen kann und die ihre territoriale Integrität wiedererlangt, inklusive der Krim. Ich bin mir bewusst, dass ein solcher Friede weit entfernt ist, solange Putin an der Macht ist. Deshalb setze ich auf ei-
nen Waffenstillstand, der der Ukraine mindestens jene Gebiete garantiert, in denen heute keine russischen Soldaten sind. Dies aber mit der Perspektive, dass die Ukraine die besetzten Gebiete zurückbekommt.
Sie haben auch dieses Jahr wieder am Ostermarsch in Bern – einem Friedensmarsch – teilgenommen. Woher nehmen Sie die Energie, dranzubleiben und nicht zu resignieren?
Ich kenne Zweifel, aber keine Verzweiflung, Unsicherheit, aber keine Hoffnungslosigkeit. Wir leben heute in einer komplizierten Situation. Aber ich sehe auch Licht im Tunnel. Vielleicht ist das ein Überbleibsel meiner religiösen Substanz: der Glaube, dass die Menschheit eine Zukunft hat.
Sind Sie ein gläubiger Mensch?
Ich bin in einer katholisch-konservativen Bauernfamilie als ältestes von acht Kindern aufgewachsen. In jungen Jahren war ich tiefgläubig und habe Latein und Griechisch gelernt, um vielleicht einmal Priester zu werden. Doch als ich 15 war, starb unsere Mutter. Das hat mich in eine tiefe Glaubenskrise gestürzt. Ich fand, entweder ist Gott so schlecht, dass er die Mutter von acht Kindern sterben lässt, oder es gibt ihn nicht. Da ich nicht an den schlechten Gott glauben konnte, habe ich den Glauben an Gott ganz aufgegeben. Aber ich blieb mit den Fragen von Transzendenz und mit dem Katholizismus als soziales und kulturelles Gemeinwesen verbunden.
Sind Sie noch Kirchenmitglied?
Auf jeden Fall! Die katholische Universalkirche ist ein Ort, zu dem Menschen aus der ganzen Welt gehören. Das sehe ich als Chance in einer Welt, die immer mehr auseinanderfällt. Eine andere Organisation ist die UNO, aber die ist in einer noch grösseren Krise als die Kirche.
Jo Lang (*1954), Historiker und Politiker, von 2003 bis 2011 Zuger Nationalrat (Grüne). Der langjährige Friedensaktivist war Mitinitiant der Initiative «Für eine Schweiz ohne Armee» (GSoA). Lang ist verheiratet und lebt in Bern.
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