Blick zurück aus dem fahrenden Zug
Mariann Bühler 18.12.2025
Der Zufall will es, dass ich diesen letzten Beitrag wie den ersten in einem Zug schreibe.
Der Zug hat soeben Spandau verlassen, vor dem Fenster werden die Häuser weniger und wo der Wald nicht bis zu den Geleisen kommt, ist das Land flach und der Blick weit. Der Himmel, scheint es mir, ist hier höher und weiter als in der hügeligen Schweiz.
Ich bin auf dem Heimweg. Die Schreibresidenz ist vorbei, neben mir steht ein schwerer Koffer im Gepäckabteil und auch mein Kopf ist vollgepackt, mit Ideen, Plänen und Geschichten, solche, die ich noch zu Ende erfinden will und solche, die mir andere mitgegeben haben, die nicht meine sind, die ich trotzdem mittrage.
Während der Zug Fahrt aufnimmt, die Landschaft von der Geschwindigkeit verwischte Konturen bekommt, schweift mein Blick zurück, auf die letzten drei Monate, auf das ganze letzte Jahr, das begleitet war von diesen Beiträgen.
Noch einmal
Die letzten Tage waren eigenartig. Neben der Freude über das Heimkommen, die Freude auf meine Menschen, meine Räume, meine Stadt, auf alles, was ein Zuhause ausmacht, war da auch eine leise Trauer, diesen neu gewonnen Ort zu verlassen, der mir ein temporäres Zuhause geworden ist.
Ich habe noch einmal die Freundin mit dem kleinen Kind besucht. Noch einmal Zeit mit ihr verbracht, aus meinem Leben erzählt, ihrem Erzählen gelauscht, mit dem Kind gespielt, das viel mehr Wörter kennt als noch vor einem Monat. Es kann jetzt «nein» sagen.
Der Zufall wollte es, dass eine andere Freundin aus dem Iran in der Stadt war. Auch über sie habe ich in einem Beitrag geschrieben, als Bomben auf Teheran fielen. Sie erzählte mir, wie sie diesen Moment erlebt hatte: Auf einer Party habe sie Feuerwerk gesehen, und erst einen Moment später festgestellt, dass normale Feuerwerke von unten nach oben gehen und nicht von oben nach unten. Sie erzählte, wie sie ihre Wohnung zurückliess, und nicht wusste, ob sie wiederkommen würde. Dass das der schwierigste Moment gewesen sei.
Der letzte Tag
An meinem letzten Tag bin ich mit der Fähre über den Wannsee gefahren, auf Waldwegen am Ufer entlang zu einer tausendjährigen Eiche gegangen. Ich hatte sie auf der Karte entdeckt und wollte vor meiner Abreise diesen Baum sehen. Neben dem mächtigen Stamm ist wenig übrig von ihr. Vor kurzem muss ein grosser Ast abgebrochen sein, er lag, noch belaubt, neben dem Stamm. Der Stamm hat fast keine Rinde mehr. Ich bin diesem beeindruckenden Baum am Ende seiner Zeit begegnet. Und am Ende meiner Zeit an diesem Gewässer.
Zurück in meinem Zimmer habe ich angefangen, den Koffer zu packen, die Sedimente der letzten Monate sortiert. Ein kurzer Unterbruch, ein Abschiedstee dehnte sich. Eine Geschichte folgte der nächsten, und als mein Gegenüber verabschiedete, um sich der Textarbeit zu widmet, tauchte ein weiterer Stipendiat auf. Das Gespräch ging nahtlos weiter und in den Abend hinein, bis wir uns losrissen, um das zu tun, was nicht länger aufgeschoben werden konnte.
Das Gewicht des Koffers bestätigte: Ich nehme einiges mit. Ich lasse einen liebgewonnenen Ort zurück, und habe ihn in Zukunft doch dabei. Und wie dieses temporäre Zuhause, lasse ich die liebgewonnene Routine dieser Beiträge zurück – und doch bleibt sie mir erhalten, in unsichtbaren Verbindungen zu allen, die sie lesen und gelesen haben.
Mariann Bühler ist Autorin und Literaturvermittlerin. Sie schreibt 2025 als Gastautorin für das Pfarreiblatt Sursee.
Dies ist der letzte Beitrag von Mariann Bühler. Wir bedanken uns herzlich bei ihr für ihre Artikel, in denen sie ihre Gedanken und ihren frischen Blick auf unterschiedlichste Themen mit uns geteilt hat.
Foto: Winston Tija/unsplash.com
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