An die Arbeit
Mariann Bühler 21.05.2025

Diesen Text will ich vor Redaktionsschluss abgeben – der ist nämlich am Tag der Arbeit. Wie gut, dass ich mir im letzten Text selbst eine Aufgabe gegeben habe: Ich will wissen, was Arbeit ist.
Ich frage die Suchmaschine. Statt einer Antwort gibt sie mir mehr als ein Dutzend Definitionen: Eine Philosophin würde Arbeit als ein Prozess der schöpferischen Auseinandersetzung des Menschen beschreiben. Müsste ich das in verständlichere Sprache übersetzen, würde ich sagen: sobald ein Mensch bewusst etwas tut, gestaltet oder baut, kann man diesen Prozess Arbeit nennen.
Eine Frage – verschiedene Antworten
Ein Betriebswirtschaftler würde Arbeit als «plan- und zweckmässige, innerbetriebliche Tätigkeit von Arbeitspersonen» definieren. Die kapitalistischen Strukturen schwingen in dieser Definition unüberhörbar mit.
Für eine Physikerin ist Arbeit die Energiemenge, die bei einem Vorgang umgesetzt wird. Menschen spielen in dieser Definition keine Rolle, es geht nur um physikalische Grössen und Kräfte. Für einen Soziologen hingegen hat Arbeit immer mit Menschen zu tun.
Arbeit, sagt die Suchmaschine, kann auch ein Kunstwerk sein oder der Prozess des Schwindens und Quellens von Holz, je nach Temperatur und Luftfeuchtigkeit.
Wir gestalten die Welt
Was Arbeit ist, hängt also davon ab, wen ich frage, wer mir antwortet. Weiss ich jetzt, was Arbeit ist? Ja und nein. Was mir auffällt, ist die Vielfalt dieser Definitionen, die alle das Resultat von ganz unterschiedlichen Arbeiten sind, von unterschiedlichen Perspektiven auf die Welt. Wenn wir mit der Philosophin mitgehen, ist das meiste, was wir Menschen tun, Arbeit: Vom Konfibrot streichen über das Erstellen eines Stundenplans bis zum Haareschneiden und Sockenstricken oder dem Analysieren von Jahresringen von Bäumen und Lastwagenfahren. Mit unserer Arbeit sorgen wir nicht nur für unseren Lebensunterhalt, für unser Wohlbefinden, wir gestalten die Welt für uns und alle anderen. Überlegen Sie sich, wie viele verschiedene Berufe es um Sie herum gibt, im Nachbarhaus, im Bus zur Arbeit. Wie viel Fantasie, Neugier und Können in Jahrtausenden zu dieser Vielzahl an Berufen geführt haben.
Neuer Blick auf die Welt
Haben Sie schon einmal einer Person zugehört, die von ihrer Arbeit erzählt, einer Arbeit, von der Sie nichts verstehen? Mich fasziniert das immer wieder, einen kurzen Augenblick durch eine andere Brille auf die Welt zu sehen. Ich denke an die Physikerin, die mir – die ich in diesem Fach kaum eine genügende Note nach Hause brachte – begeistert erzählte, dass ihr die theoretische Physik erlaube, kreativ zu sein. Das Leuchten in den Augen des Lastwagenfahrers, wenn er erzählt, wie ihm sein Beruf die Welt weiter gemacht hat. Oder der Mensch, neben dem ich fast jeden Morgen aufwache, der mir von digitalen Anwendungen und ihren Herausforderungen erzählt. Meist verstehe ich nur die Hälfte und bin doch entzückt und begeistert von all dem, was Menschen fähig sind zu lernen, zu verstehen, zu tun, zu schaffen. Über diese Vielfalt denke ich morgen nach, während ich nicht arbeite. Ausser vielleicht ein Konfibrot streichen.
Mariann Bühler
Mariann Bühler ist Autorin und Literaturvermittlerin. Sie schreibt 2025 als Gastautorin für das Pfarreiblatt Sursee.
Foto: CC0, Nasim Keshmiri/unsplash.com
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